Werke von Steve Reich und Moritz Eggert
Minimal Music - maximale Wirkung: Werke von Steve Reich und Moritz Eggert begeistern bei der musica viva
Ob er einen Witz erzählen dürfe? Der berühmte Komponist Steve Reich ist zur Konzert-Einführung in den Herkulessaal gekommen. Er gilt als prägende Figur der Minimal Music, als einer der bedeutendsten US-amerikanischen Komponisten – und wie jeder Amerikaner weiß er: Bloß nicht langweilen!
So spricht der 79-jährige New Yorker mit der Baseballmütze kurzweilig über seine Kunst und das Stück „The Desert Music“, das das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks beim musica viva-Konzert gleich spielen wird. Und auf die Frage, wie ihm der Begriff „Minimal Music“ für seine Kunst gefalle, antwortet er eben mit einem Witz. Darin wird Debussy im Grab geweckt und gefragt, ob er Impressionist sei. Debussy sagt „Scheiße“ und schläft weiter.
Dass Reich die übliche Kategorisierung „Minimal Music“ für seine Musik ablehnt, ja dass diese zu kurz greift, wird schnell klar, als das Orchester unter Leitung von David Robertson „The Desert Music“ spielt. Was soll an dieser hochkomplexen, faszinierenden Musik minimal sein? Höchstens die grundlegenden Pattern der Schlaginstrumente, die sind einfach, die Figuren der Streicher ebenso. Aber als diese Pattern stetig wiederholt werden, verschieben sich die Rhythmen leicht, kaum merklich werden sie ständig erweitert. So baut sich ein schwirrender, hypnotischer Klang auf, eine Musik der ständigen, rastlosen, hypernervösen Bewegung.
Hypernervös muss die Menschheit auch sein, die immer nur einen Knopfdruck vor ihrer Auslöschung steht: Die in „The Desert Music“ angesprochene Wüste ist White Sands in New Mexico, der Ort, an dem die US-Regierung die Atombombe testen ließ. Passenderweise mischen sich in den oszillierenden Klang nicht nur afrikanische Motive oder funky Orgel-Passagen, sondern auch heulende Sirenen.
Das Stück, bei dem jederzeit die Bombe hochgehen kann, präsentieren Robertson, das BR-Symphonieorchester sowie das zehnköpfige Ensemble „Synergy Vocals“ mit großartiger Intensität, unter der perfekten Klangregie von Norbert Ommer. Als Steve Reich danach die Bühne betritt, reagiert das Publikum mit frenetischem Applaus, mit minutenlangen Standing Ovations.
Die Ehrlichkeit des Pop
Sehr erfolgreich ist auch das andere Stück des Abends, die Uraufführung von Moritz Eggerts „Muzak“. Der Münchner Komponist hat um diese Muzak – also Klänge, die in Fahrstuhl und Restaurant möglichst überhört werden sollen – ein dreiviertelstündiges Werk für Orchester und Stimme gebaut. Einen Haufen Textklischees und Standardzeilen der Popmusik hat er aneinandergereiht, von „Just One More Night, Baby“ bis „Here Comes The Sun“. Die kurzen Zeilen hat er mit Melodien und Akkordfolgen versehen, aus denen schon tausende Songs gebastelt wurden, von Schlager bis Soul, von Pop bis Punk. Das Orchester, verstärkt durch Rockinstrumente, begleitet sie mal mit betörend schönen Harmonien, mal spielt es stilfremd oder dissonant dagegen an.
Komponist Eggert singt diese wilde Collage selbst, quer durch alle Stile und Oktaven, von Bariton bis Kopfstimme: viele Passagen karikaturesk verzerrt, andere mit authentischem Pop-Sentiment. Die sogenannte „triviale“ Musik, derer sich die Muzak bedient, sei oft ehrlich und wahrhaftig, so Eggert, und das rückte beim Schreiben immer mehr in den Vordergrund.
Sein Werk widmete er David Bowie, der starb, während Eggert sein Werk komponierte. Die Passage, die an Bowie erinnert, ist dann auch die längste, sie fügt sich zu einem fast kompletten, elegischen, sehr schönen Song zusammen. Davon hätte man auch noch mehr hören können.