Weinberg oder Schuhschachtel?
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bereist neue Konzertsäle zwischen Breslau, Kattowitz und Paris
Es ist lächerlich und zugleich grob fahrlässig, dass in der Jury des Wettbewerbs zum neuen Konzertsaal in München nur Architekten und Politiker mit Stimmrecht sitzen. Sie allein entscheiden faktisch über die klingende Zukunft im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof. Dabei wissen Musiker am besten, was gebraucht wird – akustisch und rein funktional. Sie kennen zahllose Säle auf der ganzen Welt, können umfassend vergleichen. Das zeigte sich jetzt auch auf einer großen Tournee des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, die unter dem Chefdirigenten Mariss Jansons durch europäische Nachbarländer führte.
Auch Hannes Läubin und Guido Marggrander reisten mit. Im Orchester sitzen sie ganz hinten: Läubin ist Solo-Trompeter, und Guido Marggrander agiert am Schlagwerk. Als „Hinterbänkler“ bezeichnen sie sich scherzhaft, obwohl sie beim BR ganz vorne mitmischen – seit rund 20 Jahren.
Beide haben eines gemeinsam: Sie haben bei der Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg unter Thomas Hengelbrock gespielt. Das erste Gastspiel der BR-Symphoniker an der Elbe folgt erst im Mai. Für Läubin war die Eröffnung der Hamburger „Elbphi“ ein Heimspiel, weil er früher beim dortigen NDR-Sinfonieorchester wirkte. Mit Marggrander ist er sich einig: „Die Elbphilharmonie ist besser, als teilweise geschrieben wurde, aber nicht wirklich richtig gut.“
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Wer zwei akustisch hochwertige Säle erleben will, muss gegenwärtig nach Polen reisen – ins schmucke, kleine Breslau und in die einstmals schmuddelige Kohlestadt Kattowitz. Auch das zeigte die jetzige Europa-Tour der BR-Symphoniker. Hier haben die Top-Akustiker Tateo Nakajima (Arup, vormals Artec) und Yasuhisa Toyota (Nagata Acoustics) zwei Spitzensäle kredenzt, die in den vergangenen zwei Jahren eröffnet wurden.
Von Nakajima stammen die Säle im kanadischen Montreal und in Reykjavík, wohingegen Toyota die Suntory Hall in Tokio sowie die Walt Disney Hall in Los Angeles akustisch entworfen hat – und die Hamburger „Elbphi“. Ihr Hauptproblem ist die gewaltige Höhe im großen Saal.
„Die Bühne liegt tief, und die Wände dahinter ragen steil auf“, erklären Läubin und Marggrander. „Bis weit oben zum Pendelpilz gibt es keine Schallreflektoren. Das macht es für uns auf dem Podium schwierig, die hohen Streicher gut zu hören.“
Warnung vor der Höhe
Auf den Proben sei es besonders tückisch gewesen, im voll besetzten Saal dafür etwas besser. Tatsächlich wollten sowohl die NDR-Musiker als auch Toyota einen Saal mit nicht mehr als 1800 Plätzen, was die Architekten und die Stadt abgelehnt haben sollen. Überdies soll Toyota mehrmals vor der gewaltigen Höhe gewarnt haben, zumal dies nachträglich nicht mehr zu korrigieren sei.
Auch diese Warnungen stießen in Hamburg auf taube Ohren, mit fatalen Folgen. In der neuen Philharmonie in Paris, wohin die jetzige BR-Tour ebenfalls führte, ist laut Läubin und Marggrander die Akustik auf der Bühne jedenfalls „etwas angenehmer“. „Man hört sich besser“, obwohl die akustischen Probleme ähnlich sind wie in Hamburg. Auch hier ist der 2015 eröffnete Saal sehr groß und hoch. „Der Klang geht nicht weg, sondern bleibt bei mir“, so Läubin.
Im Publikum fiel wiederum auf, dass die Streicher eine diffuse Klangfläche entwickelten; umso direkter die Bläser und das Schlagwerk. Dieses indifferente Klangprofil ist auch der Tatsache geschuldet, dass in Paris drei Akustiker mitgemischt haben. Von Harold Marshall stammt das Hauptkonzept, ergänzt um Kahle Acoustics aus Belgien und Toyota. „In Paris hört man sich jedoch besser als in der Elbphilharmonie.“
Und wie sieht es hinter der Bühne aus?
Dafür aber ist der Backstage-Bereich in Paris eine Zumutung. Die Kantine für die Musiker gleicht mit ihren niedrigen Sitzen einer Ikea-Kinderwelt, und in den Gängen verirrt man sich wie in einem Labyrinth. Für die Instrumente gibt es keine schnelle und sichere Aufbewahrung, ganz anders die Elbphilharmonie.
Hier können die Musiker in der Kantine den spektakulären Blick auf den Hamburger Hafen genießen. Die Räume sind großzügig, und jede Instrumentengruppe hat ein eigenes Stimmzimmer. „Man fühlt sich sofort wohl, als Musiker ernst genommen und wertgeschätzt. Das ist wirklich toll.“
Die Schuhschachtel klingt besser
Alle Instrumente lassen sich sicher aufhängen oder in Regalen verstauen. Die Rückwand des Podiums lässt sich ganz öffnen, um die Instrumente problemlos hineinzufahren. In Paris wurde selbst daran nicht gedacht. „Wie kann so etwas passieren, in einem Konzertsaal? Das sind Anfängerfehler.“ Selbst der etwas öde Backstage-Bereich im neuen Konzertsaal in Breslau ist ungleich besser als in Paris. Für Breslau setzte Nakajima auf die klassische, rechteckige Schuhschachtel, die er allerdings mit Echokammern und verstellbarer Deckenhöhe ausstattete - eine variable Akustik wie im Luzerner KKL, wo er seinerzeit beteiligt war.
Dagegen hat Toyota in Kattowitz die Schuhbox partiell um Elemente des Weinbergs erweitert, obwohl Toyota sonst ganz auf den Weinberg setzt. „Der Saal in Kattowitz ist gestalterisch ansprechender, und man hört sich auf der Bühne noch besser als in Breslau“, folgern Läubin und Marggrander. Im Gesamteindruck wirke jedoch der Klang in Beslau wärmer. Mariss Jansons hat sich indessen in Kattowitz am wohlsten gefühlt, weil der Klang so klar sei.
Jeder hört anders
„Ich konnte alles hören, es war sehr durchsichtig. Außerdem gibt es dort keine Balance-Probleme.“ Die Größe des Saals habe dem Klang ein „wunderbares Volumen“ gegeben, wohingegen Jansons in Breslau einen großen Unterschied zwischen Probe und Konzert bemerkte. „In der Probe hörte ich Nachhall, alles wirkte sehr voll. Später klang es viel dumpfer.“ Andere hörten es wieder anders, was die Sache nicht gerade einfacher macht.
Für München würden Marggrander und Läubin ein „Mittelding aus Kattowitz und Breslau“ bevorzugen. Jedenfalls ist in Polen deutlich geworden, dass der Star-Akustikguru Toyota keineswegs alternativlos ist. Beide Säle offenbaren zudem, dass gestalterisch einfache und schlichte Lösungen besser sind als architektonischer Pomp wie in Hamburg oder experimentelle Klügeleien wie in Paris.
In München muss es jetzt vorrangig um die Akustik und Funktionalität gehen. Alles andere rechtfertigt keinen weiteren Konzertsaal in dieser Stadt.
Marco Frei
Teilerfolg für Stephan Braunfels
Im Streit um das Vergabeverfahren beim Architektenwettbewerb für einen neuen Münchner Konzertsaal hat der Freistaat Bayern teilweise eine Schlappe hinnehmen müssen. Die Vergabekammer der Regierung von Oberbayern kam der Beschwerde des Münchner Stararchitekten Stephan Braunfels nach, der gegen seinen frühzeitigen Ausschluss aus dem Wettbewerb vorgegangen war.
Das unabhängig agierende Gremium untersagte dem Freistaat „vor einer Neubewertung der Bewerbung von Professor Braunfels die in der Ausschreibung für die besten Bewerbungen vorgesehenen Preise zu vergeben“, sagte der Sprecher der Regierung von Oberbayern, Martin Nell. Einen weitergehenden Antrag von Seiten Braunfels’ zur Aufhebung des gesamten Wettbewerbs habe die Kammer zurückgewiesen, ergänzte Nell. „Beide Seiten sind also teilweise unterlegen.“
Das bayerische Kultusministerium betonte, die Entscheidung der Vergabekammer betreffe nicht den Wettbewerb insgesamt, sondern ausschließlich die Bewerbung des Büros Braunfels.
Die Entscheidung im Architektenwettbewerb soll im Mai fallen, schon im Sommer soll die Auftragsvergabe beginnen. Der Bau soll schon im kommenden Jahr beginnen. Ob sich der Zeitplan für den Architektenwettbewerb nach der Entscheidung der Vergabekammer nun verzögert, ist unklar. Der Freistaat Bayern will auf dem Gelände der früheren Pfanni-Knödelfabrik am Münchner Ostbahnhof einen neuen Konzertsaal bauen. Sechs renommierte Architektenbüros hatte der Freistaat als Bauherr selbst für die Teilnahme ausgewählt.