Was Simon Rattle in seiner zweiten Saison plant

"I am a lucky man", resümierte Simon Rattle seine erste Saison als Chef des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Dann nannte er seine drei Glücksmomente: die Gesichter der Musikerinnen und Musiker bei der konzertanten Aufführung von Mozarts "Idomeneo" im Herkulessaal, das Gastspiel mit Beethovens "Pastorale" im Wiener Musikverein und das Zusammentreffen mit Laienmusikern bei der Generalprobe für Mahlers Sechste in Vorbereitung des "Symphonischen Hoagaschts", der im Juli im Showpalast stattfinden wird.
Aber bei einer Pressekonferenz zur neuen Saison geht der Blick primär nach vorn. Rattle dirigiert zum Auftakt im Herbst Bachs "Matthäuspassion", die coronabedingt bisher nur als Livestream aufgeführt wurde. Bei allen anderen Programmen setzt der Chefdirigent vor allem auf aufregende Kombinationen: Vor dem Brahms-Requiem gibt es ein Stück von Mark-Anthony Turnage, Mahlers Siebte spiegelt sich in einem kurzen Stück von Harrison Birtwistle, Bruckners Neunte kombiniert der Dirigent mit Werken von Wagner, Ligeti und Webern. Auch die Auseinandersetzung mit französischer Musik wird fortgesetzt.
Das Orchester wird hip
Pur gibt es die drei letzten Mozart-Symphonien und den zweiten Akt von Wagners "Tristan und Isolde, den sich die Sopranistin Lise Davidsen von Rattle gewünscht hat. Chefsache bleiben auch Konzerte mit den Akademisten und ein Termin der musica viva, bei dem Werke von Pierre Boulez, Luciano Berio und Helmut Lachenmann zu hören sind. Neu ist das Format "BRSO hip": Die drei Kleinbuchstaben stehen nicht für Neumodisches, sondern für die gute alte "Historically informed performance", womit die Aufführung von vorklassischer Musik auf Nachbauten alter Instrumente gemeint ist. Sie soll das Orchester stilistisch breiter aufstellen.
Der Orchestermanager Nikolaus Pont und der für die künstlerische Planung verantwortliche Benjamin Schwartz hoffen auf eine Rückkehr des 96-jährigen Herbert Blomstedt, der sich von seinem Sturz erholt haben soll. Er möchte Strawinskys "Psalmensymphonie" und Mendelssohns "Lobgesang" aufführen.
Zu den weiteren Gastdirigenten zählen Iván Fischer, Daniel Harding, Manfred Honeck, Franz Welser-Möst und Alan Gilbert. Auch in ihren Programmen steht die Vielfalt im Vordergrund. François-Xavier Roth kombiniert beispielsweise Bruckners Dritte mit Werken von Olga Neuwirth und Pierre Boulez, Igor Levit und Esa-Pekka Salonen wuchten mit dem BR-Chor das Klavierkonzert von Ferruccio Busoni auf das Podium des Herkulessaals.
Nichts Neues zum Konzertsaal
Im Museum Brandhorst soll ein Cage-Schwerpunkt stattfinden. Offenbar gewöhnt sich das Orchester nach langem Zögern auch an den Aufstieg von Dirigentinnen: Karina Cannelakis dirigiert Werke von Kaija Saariaho, Maurice Ravel und Jean Sibelius, die bisher primär als Einspringerin beschäftigte Simone Young setzt sich mit Alexander von Zemlinskys "Lyrischer Symphonie" auseinander.
Der Chor des Bayerischen Rundfunks singt in seinen Abo-Konzerten unter anderem ein Renaissance-Programm mit Werken von Orlando di Lasso, Claudio Monteverdi und Giacomo Carissimi. Im Passionskonzert steht Franz Liszts "Via crucis" auf dem Programm. Mit der "Hrvatska Misa" von Boris Papandopulo erfüllt sich Ivan Repušić, der aus Kroatien stammende Chefdirigent des Rundfunkorchesters, einen Herzenswunsch.
Rattle hat mit Kunstminister Markus Blume über den Konzertsaalneubau im Werksviertel gesprochen, dessen bisherige Planung dem Freistaat zu teuer wird, der in reduzierter Form aber kommen soll. Der Dirigent verbreitete den ihm eigenen Optimismus. Zu konkreten Folgen des Abspeckens für die Architektur und die Akustik wollte sich niemand äußern.
"Ich habe diese Musik gern"
Ungemach drohen dem Chor und dem Rundfunkorchester: Ihr Konzertsaal ist das Prinzregententheater. Es soll ab 2029 als Ausweichspielstätte für das zu sanierende Residenztheater dienen. Die Chormanagerin Susanne Vongries gab sich optimistisch, dass das kein Aus für den Konzertbetrieb bedeuten würde. Gespräche zu diesem Thema laufen. Ein Ausweichen in das Kulturkraftwerk Bergson schloss Veronika Weber, die Orchestermanagerin des Rundfunkorchesters aus: Tests hätten ergeben, dass sich der Bau in erster Linie für Pop und Jazz eignen würde.
Eingangs zeigte das Orchester einen kleinen Film über die bisherigen Chefdirigenten, in dem Rafael Kubelík bei der Probe für Arnold Schönbergs "Gurrelieder" zu sehen war. "Ich für meine Person habe diese Musik sehr gern", sagt er zum offenbar skeptischen Orchester. Diese Werbung hat der von weiten Teilen des Publikums immer noch gefürchtete Komponist nicht mehr nötig: Die beiden Aufführungen unter Rattle am Freitag und Samstag in der Isarphilharmonie sind ausverkauft.
Infos zur neuen Saison unter brso.de