Was sich der Intendant Paul Müller von Valery Gergiev erwartet
Tot waren sie ja nie, sondern trotz Krisen und Umbrüchen quicklebendig. Dennoch ist die Wahl des Werks programmatisch: Heute spielen die Münchner Philharmoniker die Zweite Symphonie von Gustav Mahler, die „Auferstehungs-Symphonie“. Mit diesem am Freitag und Sonntag wiederholten Programm tritt Valery Gergiev sein Amt als Chefdirgent des Orchesters der Stadt an. Die AZ sprach mit Paul Müller, dem Intendanten der Philharmoniker.
AZ: Herr Müller, welche Hoffnungen und Erwartungen verbinden Sie mit der neuen Ära?
PAUL MÜLLER: Wenn man einen neuen Chefdirigenten an ein Orchester bindet, hat das eine Vorgeschichte. Die Münchner Philharmoniker haben sich in den letzten Jahren intensiv mit ihren eigenen Werten auseinandergesetzt. Drei Begriffe waren dabei entscheidend: Tradition, Emotion und Neugier. Das sind Begriffe, die viel mit Valery Gergiev zu tun haben. Nehmen Sie zum Beispiel den Schostakowitsch-Zyklus aus der Saison 2011/12, bei dem Orchester und Dirigent gegenseitig eine große Faszination füreinander entwickelt haben.
Wie werden die Philharmoniker in zwei Jahren dastehen?
Die letzten zwei Jahre waren nicht ganz einfach: Es gab viele schöne und gute Konzerte. Aber Orchester, die klassischerweise mit einem Chefdirigenten arbeiten, geraten in einer solchen Situation leicht in ein gewisses Vakuum. Andererseits haben Prozesse, in denen die Selbstverantwortung gestärkt wird, noch niemandem geschadet. Die Philharmoniker brauchen einen klaren Energieschub. Und Valery Gergiev verfügt über eine enorme energetische Kraft.
Da werde ich Ihnen auch als Gergiev-Skeptiker kaum widersprechen. Was soll seine Kraft anstoßen?
Gergiev ist seit über 20 Jahren Chef des Mariinski-Theaters in St. Petersburg und bleibt das auch. Er hat das Orchester des Opernhauses zu einer weltweit nachgefragten Marke gemacht – auch im sinfonischen Bereich. Er hat viele neue junge Musiker ins Orchester geholt. Die wurden innerhalb von zwei Jahren durch das Opern- und Konzertrepertoire geschickt. Zeit für viele Proben war da nicht. Das Ergebnis ist phänomenal: Die Musiker spielen auf der Stuhlkante. Das zeigt, dass Gergiev eine hohe künstlerische Verantwortung übernimmt.
Wir sind aber in München.
Hier sind die Verhältnisse anders. Die Philharmoniker sind kein Opernorchester. Es gibt klare Strukturen mit einer Abfolge aus Proben und Konzerten. Er wird sich darauf einlassen. Gergiev hat weltweite Erfahrung und weiß, was auf ihn zukommt.
Wenn ich eine alte Sowjet-Parole variieren darf: Vom Mariinski lernen, heißt siegen lernen.
Das würde ich nicht so formulieren wollen. Die Münchner Philharmoniker haben ihre eigene Tradition, ihren eigenen Geist, ihre eigene Klangkultur - wenn Sie so wollen eine einzigartige künstlerische DNA. Und die unterscheidet sich natürlich von der des Mariinski Orchesters. Diese beiden Orchester können für einen Chefdirigenten nur eine spannende Kombination und Herausforderung sein.
Und was erwarten Sie sich von Gergievs Neugier?
Er kümmert sich nachhaltig um den Nachwuchs und denkt viel darüber nach, wie das Publikum der Zukunft aussehen wird. Wir fahren mit ihm bis Dezember ein extrem intensives Programm mit Reisen nach Asien, Wien, Frankfurt und Essen. Denn die internationale Präsenz ist für ein Orchester dieser Qualität unverzichtbar.
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Allerdings müssen die Philharmoniker Gergiev bis Dezember mit anderen Orchestern teilen. Wird seine Rastlosigkeit nicht irgendwann zu einem Problem?
Diese Frage stellt sich wohl jeder, der seinen Terminplan anschaut. Ich habe Gergiev nun ein Jahrzehnt erlebt: Ja, auch ich staune manchmal. Es ist offenbar sein System, um zur Hochform aufzulaufen und diese Hochform auch halten zu können. Und es funktioniert.
Hat Gergiev überhaupt eine Chance, von München mehr als ein Hotel zu sehen?
Die letzte Programmrunde zu dieser Saison fand in einem Park in Rom statt. Wenn Gergiev hier ist, wird es genügend Zeit dafür geben, München kennenzulernen. Und das interessiert ihn auch. Im letzten Jahr waren wir zusammen in einer Ausstellung im Lenbachhaus. Das wird sicherlich nicht der letzte Besuch gewesen sein. Er ist kein Chefdirigent im Elfenbeinturm. Mit seinem Wort, er wolle, dass jeder Münchner mindestens einmal die Philharmoniker hört, hat er das auch schon angedeutet.
Gergievs Vertrag läuft nach gegenwärtigem Stand bis 2020. Dann wird es richtig ernst, wenn die Philharmonie im Gasteig saniert wird.
Ich kann Ihnen eines sagen: Der städtische Kulturreferent Hans-Georg Küppers und die Gasteig-Chefin Brigitte von Welser sind sich der Herausforderung bewusst, die auf die Philharmoniker während der Sanierung zukommt. Beide haben seit dem Stadtratsbeschluss alles Menschenmögliche getan, um dieses Problem zu lösen. Und: Wenn irgendjemand Erfahrung mit Spielstätten hat, dann ist das Valery Gergiev. Ich bin da absolut positiv gestimmt, dass wir in absehbarer Zeit eine Ausweichspielstätte finden.
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Wie haben Sie die Störgeräusche erlebt, die wegen Gergievs Nähe zur russischen Regierung lange nicht verstummen wollten?
Gergiev hat seinen Münchner Vertrag im Januar 2013 unterschrieben. Da gab es weder Querelen noch politische Spannungen mit Russland. Wir nehmen die Situation an, wie sie ist. Ich sehe nicht, dass die Beziehung zwischen Gergiev und den Münchner Philharmonikern davon negativ berührt würde – das ist das Entscheidende. Und wenn Sie mich persönlich fragen: Klassische Musik ist seit der Aufklärung verbunden mit den Idealen der Versöhnung und des Dialogs. Natürlich machen uns die weltweiten politischen Konflikte, insbesondere zwischen Russland und Europa, große Sorgen. Aber ich glaube an die Kraft des Dialogs – und darin ist klassische Musik unschlagbar.
3sat sendet eine Aufzeichnung am Samstag, den 19. September um 20.15 Uhr. Termine und Karten für Konzerte Gergievs auf www.mphil.de und unter Telefon 54 81 81 400