Callas, Dietrich, Maradona: Was macht eine Diva aus?
Mit Aufstieg, Glanz und Fall der Jahrhundertsängerin Maria Callas beschäftigt sich eine neue Ausstellung in der Pasinger Fabrik in Form von Bildern, Installationen, Skulpturen, Ton- und Filmaufnahmen. Das Begleitprogramm geht der Natur einer Diva nach.
AZ: Frau Baur, gibt es bei einer Diva einen großen Unterschied zwischen Außenwahrnehmung und Wirklichkeit?
Eva Gesine Baur: Das, was derzeit als Identischsein bezeichnet wird und Mode ist, spielt gar keine so große Rolle. Niemand kann sagen: "Ich bin eine Diva!" Denn das entscheidet das Publikum.
Und was sind Kriterien für "Göttlichkeit"?
Diva bedeutet zwar Göttin und im Italienischen gibt es auch den Divo. Aber das hat nichts mit dem Gottesbegriff des Christentums, des Judentums oder des Islam zu tun. Die großen Sängerpersönlichkeiten im 17. Jahrhundert spielten oft in Stücken, die auf der griechisch-römischen Mythologie gründeten, darin ging um Götter und Göttinnen, aber auch um Nymphen, das lief unter Götterpersonal. Die antiken Göttergestalten sind durchaus fehlerhaft, sie können lügen und betrügen, können eifersüchtig, herrsch- oder genusssüchtig sein, sie erleiden auch mal Niederlagen. Wie die Diven. Aber sie haben trotzdem Qualitäten, die sie anbetungswürdig machen. Die braucht jemand unbedingt, der als Diva oder Diva gelten will.
Cher kann keine Diva sein, weil sie nichts leistet
Was wäre das?
Interessanterweise Begabung, außergewöhnliche Fähigkeiten. Damit sind Personen wie Cher ausgeschlossen. Sie ist der Triumph der plastischen Chirurgie über den Verstand. Selbstperfektionierung oder Selbstoptimierung mit künstlichen Mitteln macht niemanden zur Diva oder einem Divo. Auch Adele oder Ed Sheeran können Stars sein, aber sie sind eben keine Diven. Diven schwimmen nie im Mainstream. Callas sang gegen den Mainstream, Ivo Pogorelich, ein Divo am Klavier, spielte gegen den Mainstream, Yves Saint-Laurent schuf eine Eleganz gegen den Mainstream.

Greta Garbo wahrte auch mal ihr Inkognito
Zum Diven-Sein gehört aber auch ein Abstand zum Publikum und zu normalen Menschen.
Das erklärt auch, dass es kaum mehr Diven gibt, weil die Sozialen Medien das Nahesein suggerieren und dauernde Präsenz verlangen, das Gegenteil von Abstand. Wer alle an allem teilhaben lässt, kann nicht göttlich sein. Das beschert die Krise des Diventums. Wer Angst vor Feinden oder einem Shitstorm hat, möglichst viele Follower haben und Everbody's Darling sein will, kann keine Diva, kein Divo sein. Als Divo oder Diva muss man in Kauf nehmen, für arrogant oder schwierig gehalten zu werden. Und da geht auch kein Schlabberlook nach dem Konzert beim Autogrammgeben. Greta Garbo hat bewusst das Inkognito gewahrt, wenn sie nicht kühle Eleganz verkörperte. Marlene hat einmal gesagt, sie kleide sich nicht für sich, nicht für die Mode, Männer und Frauen oder das Publikum ausgewählt schön, sondern für ihr Image.
Huppert, Ardant und Currentzis: Alles echte Diven
Aber wer bleibt dann heute als Diva oder Divo übrig?
Zum Beispiel Isabelle Huppert, Fanny Ardant - weil zum Divensein auch eine gewisse Eleganz und Selbstinszenierung gehört. Eine vulgäre Schönheit kann keine Diva sein, weil das Außergewöhnliche fehlt. Daher würde ich auch trotz der politischen Fragwürdigkeit Teodor Currentzis in seiner Extravaganz, seiner kühnen Begabung und Exaltiertheit als Divo bezeichnen.
Leistung statt Follower
Warum bringt die Klassik mehr Diven hervor als andere Bereiche?
Weil hier mehr Leistung gefordert ist, Begabung und Disziplin. Das alles braucht auch Zeit und Rückzug, was wiederum einen Abstand herstellt zum normalen Leben. Wer übt, kann nicht ständig posten und sich anbiedern.

Ist der Preis dann oft Einsamkeit?
Nicht unbedingt, weil das Divensein ja Freundschaften nicht ausschließt. Marlene zum Beispiel war eine kommunikationsfreudige Frau und hat erst, als sie 80 Jahre alt war, die Einsamkeit gewählt, um den Mythos zu wahren. Und die Callas hatte vielleicht zu wenige Freunde, war aber nicht wirklich einsam, sie konnte nur nicht gut alleine sein, ohne sich sofort verlassen zu fühlen.
Philip Roth, Paul Auster und Siri Hustvedt sind Diven
Gibt es Diven im Sport, wie Maradona?
Eben wenige, weil hier es ja auch besonders um Nähe zu Fans und Zuschauern geht. Aber Literatur - mit dem Rückzug hinter den Schreibtisch - kann natürlich Diven hervorbringen, wie Philip Roth, Paul Auster oder seine nun verwitwete Frau Siri Hustvedt.
Und Models?
Das sind manchmal Performancekünstlerinnen, aber keine Diven. Schönheit reicht eben nicht. Übrigens muss eine Diva nicht unbedingt schön sein. Schon die griechisch-römischen Götter waren ja nicht alle schön und trotzdem verehrungswürdig. Und was oft vergessen wird: Charisma ist unverzichtbar. Das Wort kommt von den Chariten - also Begleitpersonal von Aphrodite oder Apollon, Glanz verbreiteten wie Aglaia oder Begeisterung wie Euphrosyne oder Festlichkeit wie Thalia. Diven benötigen Glamour, was keineswegs nur Oberflächenglanz bedeutet. Der Begriff kommt wiederum aus dem mittelalterlichen Sagenkreis um Artus von der Figur Fay la Morgan, der Morgana. Das war eine durchaus auch verschattete, dunklere Figur und was sie vermittelte, das findet sich bei Diven, wenn sie etwas Geheimnisvolles, Magisches, Unerklärbares ausstrahlen.
Schönheit ist nicht nötig
Kommt damit auch etwas Negatives mit hinein?
Der negative Divenbegriff, also eine Zicke, eine launenhafte Person, unzuverlässig, anspruchsvoll, geltungssüchtig, wurde von Männern, von Produzenten und Regisseuren im chauvinistischen Hollywood-Geschäft geboren, als die starken Frauen wie Dietrich oder Katherine Hepburn aufkamen. Die Männer versuchten damit, die Diva zu domestizieren, gewöhnlich zu machen. Aber das gelang nicht. Marlene wie Maria Callas oder Katherine waren beliebt wegen ihrer ungeheuren Diszipliniertheit und Professionalität. Eine Diva lässt sich nicht kleinmachen, nicht verzwergen, nicht banalisieren Der Begriff Gottbegnadete ist kontaminiert durch Hitlers absurde Gottbegnadeten-Liste, aber er verrät, dass für uns große, charismatische Künstlerpersönlichkeiten irgendwie von einer anderen Macht beschenkt zu sein scheinen.

Aber scheitern können auch die.
Ja, aber sie scheitern groß und würden nie einen Supermarkt eröffnen oder für einen Staubsauger ihren Namen hergeben. Die Diva, der Divo, kann sich Brüche, Fehler, Unvollkommenheiten leisten wie die Götter der Antike, sie wissen, selbst ihre Schwächen in Stärken zu verwandeln und genau das macht sie anbetungswürdig.
Pasinger Fabrik (August-Exter-Straße 1) bis 6. August
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