Interview

Warum es wichtig ist, die Ukraine weiter zu unterstützen

Die Cellistin Raphaela Gromes unterstützt den Freiheitskampf gegen Russland der Ukraine mit ihren Mitteln
von  Robert Braunmüller
Raphaela Gromes vor der Sophienkathedrale in Kyjiw.
Raphaela Gromes vor der Sophienkathedrale in Kyjiw. © Screenshot

München – Das Nationale Symphonieorchester der Ukraine versteht sich als kultureller Botschafter des Landes. Ende November spielten die Musikerinnen und Musiker unter Leitung seines Chefdirigenten Volodymyr Sirenko zwei Konzerte in München. Solistin ist Raphaela Gromes. Sie hat mit dem Orchester das Cellokonzert von Antonín Dvořák aufgenommen, das sie auch im Prinzregententheater spielen wird.

AZ: Frau Gromes, wie ist Ihre enge Beziehung zur Ukraine entstanden?
RAPHAELA GROMES: Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat mich schockiert. Ich war anfangs wie gelähmt. Die Auseinandersetzung mit Krieg passte nicht in mein pazifistisches Weltbild. Der Mut und die Entschlossenheit, mit der sich die Ukraine verteidigt, haben mich stark beeindruckt. Bei meinem Besuch in Kyjiw habe ich auch viel Stolz auf diese Leistung verspürt, verbunden mit der Hoffnung auf ein Leben in Freiheit und Demokratie. Daher bedauere ich es auch, dass bei uns die Solidarität mit der Ukraine zunehmend nachlässt.

Wie haben Sie das Ukrainische Nationalorchester kennengelernt?
Ich habe ein Konzert besucht und war sehr beeindruckt von der kämpferischen Energie, Qualität und Musikalität dieser Musikerinnen und Musiker. Daher habe ich sie angesprochen, ob sie an einem gemeinsamen Projekt interessiert wären.

Raphaela Gromes in der ukrainischen Hauptstadt.
Raphaela Gromes in der ukrainischen Hauptstadt. © Screenshot

Warum haben Sie sich ausgerechnet für das viel gespielte Dvorák-Konzert entschieden?
Das entstand durch ein gemeinsames Konzert mit dem Orchester in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw. Dvořáks Cellokonzert ist mein Lieblingskonzert und ich spiele es auch oft, aber ich hatte vorerst nicht vor, es aufzunehmen, weil es so viele gute Einspielungen gibt. Ich setze mich mit meinen CDs lieber für unbekannte Werke ein. Dann kam es zu diesem Solidaritätskonzert mit dem Ukrainischen Nationalorchester in Kyjiw. Wir haben uns sehr viel Zeit für Proben genommen, die Musikerinnen und Musiker und ihr Chefdirigent Wolodymyr Sirenko haben sich so sehr für meine Interpretation interessiert. Und wir haben uns auch mit Dvořáks Manuskript beschäftigt, um genau herauszufinden, was Aufführungstradition ist und was die Absichten des Komponisten gewesen sind. Wichtig war mir natürlich auch die Solidarität mit diesem Orchester.

Aus diesem Grund finden sich auch Werke ukrainischer Komponisten auf der CD?
Genau. Der russische Angriffskrieg richtet sich auch gegen die ukrainische Kultur. Das Land verteidigt einerseits seine Demokratie, außerdem würde ein russischer Sieg das Ende der nationalen Identität der Ukraine und damit eine Russifizierung bedeuten. Daher ist es wichtig, ukrainische Eigenheiten zu betonen und auf eine Musikkultur hinzuweisen, die in diesem Land einen hohen Stellenwert besitzt. Aus diesem Grund sind auch die Musiker des Orchesters vom Militärdienst befreit.

Welche Stücke ukrainischer Komponisten haben Sie aufgenommen?
Ich habe Musik von Hanna Havrylets und Valentin Silvestrov vorgeschlagen, der Dirigent ein Stück von Yuri Shevchenko.

Raphaela Gromes mit dem Dirigenten Wolodymyr Sirenko.
Raphaela Gromes mit dem Dirigenten Wolodymyr Sirenko. © privat

Wie wichtig ist klassische Musik den Menschen in der Ukraine?
Ich habe nach dem Konzert in Kyjiw mit einem Soldaten gesprochen. Er hat mir gesagt, dass es das Gefährlichste für ihn ist, im Krieg seine Menschlichkeit zu verlieren, weil alles, was man sieht, so furchtbar ist und einen innerlich abtötet. Daher versucht er, sich an jedem freien Tag mit kulturellen Dingen zu beschäftigen, indem er Musik hört oder Museen besucht.

Ist das eine einzelne Stimme oder haben Sie diese Ansicht öfter gehört?
Musik hilft den Ukrainern, nicht abzustumpfen. Krieg ist die furchtbarste Situation, die vorstellbar ist, wenn man täglich von Toten und Verletzten hört. Die ständigen Angriffe in der Nacht zermürben. Musik entfacht in einer solchen Situation das Feuer im Herzen und die Berührbarkeit. Sie kann auch helfen, zu trauern und Verluste zu bewältigen und befreiend zu wirken.

Was ist für Sie der wichtigste Grund, warum Sie mit dem Ukrainischen Nationalorchester auf Tournee durch Deutschland gehen?
Wir spielen für die Menschlichkeit und gegen das, was Putin macht. Für ihn spielt der einzelne Mensch, auch auf der russischen Seite, keine Rolle. Soldaten sind für ihn Kanonenfutter, das er seiner imperialistischen Großmacht-Idee opfert.

Sie waren im vergangenen Dezember in Kyjiw. Bald ist wieder Winter, und die Energieversorgung ist durch die russischen Luftangriffe angeschlagen. Wie haben Sie das erlebt?
Bei meiner Anwesenheit war der Energiesektor noch relativ intakt. Wir hatten immer wieder Luftalarm. Die meisten Leute reagieren sehr gelassen: Sie wollen sich vom russischen Terror nicht verunsichern lassen. Außerdem funktioniert die Luftabwehr sehr gut. Ich höre allerdings, dass die Lage jetzt ernster ist. Schon im Sommer gab es Stromsperren, und die Angst vor einem kalten Winter ist groß.

Sie haben vorher erwähnt, dass die Aufführungstradition die Sicht auf das Dvořák-Konzert verändert hat. Wie muss man sich das vorstellen?
Im Lauf der Zeit hat sich eine sehr breite, jede Harmonie genießende und pathetische Deutung dieses Konzerts durchgesetzt, die meiner Meinung nach nicht den Absichten des Komponisten entspricht. Wenn wenig geprobt wird, führt das oft dazu, dass nach der Tradition gespielt wird. Auf diese Weise sind die Tempi immer langsamer und das Konzert immer länger geworden. Wenn man die Tempoabgaben und die Vortragsbezeichungen genau anscheint, ergibt sich ein anderes Bild. Das zu betonen, war mir und dem Dirigenten wichtig. Das Konzert gewinnt an Schwung und Strahlkraft, ohne an melodischer Tiefe zu verlieren.

CD: Raphaela Gromes: "Dvořák", bei Sony Classical; Konzerte: Prinzregententheater, Sonntag, 24. November, 15.30 Uhr sowie am Montag, 25. November, 20 Uhr, Restkarten bei muenchenticket, muenchenmusik und unter Telefon 93 60 93

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