Kritik

Wahrheit, Grimasse und flaue Gefühle

Teodor Currentzis und Utopia mit Gustav Mahlers Symphonie Nr. 5 in der Isarphilharmonie
Robert Braunmüller
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Teodor Currentzis.
Sébastien Grébille 2 Teodor Currentzis.
Teodor Currentzis und Utopia bei einer Probe im Berliner Funkhaus.
Sébastien Grébille 2 Teodor Currentzis und Utopia bei einer Probe im Berliner Funkhaus.

München – Christian Thielemann hat sinngemäß einmal gesagt, er halte sich von Gustav Mahlers Symphonien fern, weil es ihm widerstrebe, die Emotionen der Musik noch einmal zu verdoppeln. Für Teodor Currentzis scheint das genau der Grund zu sein, diese Musik zu dirigieren. Und das hinterlässt beim ersten München-Gastspiel seines neuen Orchesters Utopia einen durchaus zwiespältigen Eindruck, bei dem sich Überzeugendes mit eher Fragwürdigem mischen.

Currentzis dirigierte die Fünfte, und die endet nach vielen Krisen und Katastrophen mit einem turbulent-rauschhaften Finale, dessen Optimismus samt dem sehr gewaltsam herbeigezwungenen Choral aus dem zweiten Satz etwas angestrengt wirkt. Viele Dirigenten können damit wenig anfangen, und auch rein konditionell hat es schon Orchester gegeben, denen hier buchstäblich die Luft für die finale Steigerung ausgegangen ist.

Mit dem Rotstift

Nicht so bei Currentzis: Er schafft es, die Musikerinnen und Musiker von Utopia so anzufeuern, bis der Frohsinn bei diesem naturhaft-kraftstrotzenden Kehraus orgiastisch taumelt und die Fetzen fliegen. Und weil das selten so riskiert wird, hält es das Publikum in der so gut wie ausverkauften Isarphilharmonie nach dem Schlussakkord auch nicht mehr auf den Sitzen.

Schwieriger ist es, sich mit dem anzufreunden, was davor geschieht. Wenn's leise wird, nimmt Currentzis das Tempo zurück, jedes Crescendo wird zwingend schneller. Das führt dazu, dass jede Emotion noch einmal mit dem Rotstift so unterstrichen wird, dass jede Emotion verlorengeht.

Teodor Currentzis und Utopia bei einer Probe im Berliner Funkhaus.
Teodor Currentzis und Utopia bei einer Probe im Berliner Funkhaus. © Sébastien Grébille

Am erwartbar extremsten praktizierte der Dirigent dies im auf fast 13 Minuten gedehnten Adagietto, das zwischen einem halbwegs natürlichen Fluss und einem Quasi-Stillstand changierte, den die Streicher mit einem übertriebenen Vibrato aufluden. Das alles macht Mahler zum Hysteriker. Oder auch zu einem grimassierenden Schauspieler. Und wenn alles extrem ist, geraten unbezweifelbar extreme Momente ein wenig beiläufig - wie etwa das plötzliche Erscheinen des Chorals im zweiten Satz, das sich viel zu selbstverständlich ereignete, während andere Momente bis zur Manier mit Bedeutung aufgeladen wurden.

Vor Mahler Gebrauchsmoderne

Die etwa 70 Minuten lange Fünfte ist für ein Konzert zu kurz. Currentzis ergänzte sie mit der "Passacaglia - Music for Orchestra IX" des Amerikaners Jay Schwartz. Das ist ein sehr erwartbare Stück Gebrauchsmoderne, das sich nach bewährten Rezepten ("Bolero", "Lohengrin"-Vorspiel) vom Ächzen des Schlagzeugs zu einem testosterongestählten Imponier-Fortissimo steigert, um wieder in der Unhörbarkeit zu verschwinden.

Als Zugabe gab's noch was für das bei Currentzis unvermeidliche spirituelle Gefühl: Das Orchester sang den Bach-Choral "Jesu meine Freude". Und weil wir gerade bei Gefühlen sind: Inwieweit sich Utopia vom aus trüben russischen Quellen finanzierten Orchester MusicAeterna unterscheidet, das vermutlich rein zufällig derzeit auch Mahlers Fünfte aufführt, bleibt unklar.

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Und da darf man nach wie vor ein flaues Gefühl haben, auch weil große Teile des Publikums dazu entschlossen sind, das zu ignorieren und die Musik von Politik allzu willig zu trennen.

Am 13. April folgt ein zweites Konzert von Utopia unter Currentzis mit Werken von Brahms und Mahler in der Isarphilharmonie, Karten unter muenchenmusik.de

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