Wacken-Chef Thomas Jensen über die Grenzen des Wachstums

Das legendäre Wacken-Festival feiert 30-jähriges Jubiläum. Jedes Jahr mehr pilgern 75.000 Fans in die kleine Gemeinde im Kreis Steinburg, Schleswig-Holstein. Was 1990 in einer Kiesgrube in Wacken anfing, ist zum größten Metal-Spektakel der Welt geworden. Thomas Jensen (46), neben Holger Hübner einer der beiden Mitbegründer des Festivals, spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news über die unglaubliche Erfolgsgeschichte, die Grenzen des Wachstums und darüber, wo die Reise noch hingehen könnte.
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Dieses Jahr feiert das Wacken sein 30-jähriges Jubiläum. Seit 2006 ist das Festival durchgehend ausverkauft. Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Was macht seine Strahlkraft aus?
Thomas Jensen: Laute Musik und nette Menschen. Es gibt sicherlich sehr viele Faktoren. Eine einzelne Komponente herauszugreifen wäre zu kurz gedacht. Die Fans haben einen sehr großen Anteil daran, wie das Festival aussieht und was es ist. Auf die Wünsche der Fans zu hören, hat ganz entscheidend zum Erfolg beigetragen. Und natürlich gehört auch das Team dazu, das über die Jahre im Kern gleichgeblieben ist. Diese Kontinuität ist im Veranstaltungsgeschäft nicht immer so zu finden.
Wenn Sie auf die vergangenen 30 Jahre zurückblicken: Was hätten Sie anders gemacht?
Jensen: Wir haben sicher den einen oder anderen Schlenker gemacht. Wir sind uns auch nicht immer einig im Team - gerade in der Programmauswahl. Im Großen und Ganzen sind wir aber super zufrieden, wie sich das Festival entwickelt hat, obwohl wir manchmal selbst nicht wussten, wo die Reise hingeht.
Mittlerweile sind rund 75.000 Menschen jedes Jahr vor Ort. Mit Helfern und Bands sind es fast 85.000, Ist das Ende des Wachstums erreicht? Oder gibt Pläne oder Möglichkeiten weiter zu wachsen?
Jensen: Solche Pläne gibt es nicht. Wenn man es unbedingt möchte, würde man natürlich immer Möglichkeiten finden. Aber wir haben uns diese künstliche Beschränkung selbst auferlegt. Das ist gut für die Atmosphäre und erhält unseren familiären Charakter, was sich bei 75.000 Menschen natürlich fast schon pervers anhört. Aber wenn man vor Ort ist, dann spürt man den Zusammenhalt in der Community und im Team.
Ein Ticket kostet mittlerweile mindestens 220 Euro. Ein Haufen Geld. Gibt es irgendwo eine Schmerzensgrenze, über die Sie nicht gehen wollen?
Jensen: Die Kosten werden immer steigen. Da schauen wir aber natürlich immer, was wir machen können. Wir müssen mal sehen, wo die Reise hingeht. Aber natürlich sind wir unseren Mitarbeitern gegenüber verpflichtet, wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen auch.
Treffen Sie Kommentare, wie "Wacken ist kein Metal"?
Jensen: Es wäre gelogen, wenn ich Nein sagen würde. Aber mittlerweile haben wir uns eine gewisse Gelassenheit erarbeitet. Es soll mir mal einer jemanden zeigen, der mehr für den Nachwuchs macht, als wir das tun. Wir bieten allein 30 Slots für Nachwuchsbands an. Außerdem bieten wir in jeder Minute des Festivals mindestens zwei gute Metal-Attraktionen an - egal, in welcher Spielart man sich zu Hause fühlt. Und natürlich nehmen wir uns Freiheiten bei der Programmgestaltung und unsere Gäste geben uns auch diese Möglichkeit, Dinge einfach mal auszuprobieren, woraus auch viele gute Sachen entstanden sind.
Sie machen viel für den Nachwuchs im Metal. Doch so langsam gehen die alten Headliner aus. Wer kann die Lücke, die Black Sabbath, Kiss, Judas Priest oder eines Tages Metallica hinterlassen werden, füllen?
Jensen: Darüber habe ich viel nachgedacht. Die Lücke, die zum Beispiel ein Lemmy Kilmister [1945-2015, Sänger und Bassist der Rockband Motörhead, Anm. d. Red.] gerissen hat, wird natürlich keiner schließen können. Aber darum geht es vielleicht auch gar nicht. Da würde vielleicht sogar eine zu große Last, die auf die Schultern junger Bands gelegt. Für uns ist wichtig, dass es lebendig weitergeht. Und ich finde, dass schon mehr potentielle Headliner nachgekommen sind, als man auf den ersten Blick sieht. Wir sollten uns dennoch darüber Gedanken machen, dass man kleinen Bands Auftrittsmöglichkeiten verschafft. Sei es auf kleinen Festivals oder als lokale Opener bei großen Touren.
Woher kommt die Idee zur neuen "Wacken Future Factory" und was erhoffen Sie sich als Ergebnis?
Jensen: Wir versuchen jetzt seit zwei Jahren, den Rahmen etwas größer zu ziehen: Wie wollen wir uns weiterentwickeln? Wir stehen alle, nicht nur als kommerzielle Firma, sondern auch als Bürger dieses Landes vor sehr vielen Herausforderungen - wie bei der Digitalisierung oder der Nachhaltigkeit. Diesen Aufgaben wollen auch wir uns stellen und dadurch ein Stück weiterkommen. Wir haben die besten Fans der Welt, warum sollen wir sie nicht einfach fragen? Mit der "Wacken Future Factory" versuchen wir, Leute zusammenzubringen, die sonst nicht zusammenkommen würden. So geben wir dem Team und unseren Fans die Möglichkeit, Feedback zu geben, Experten zu treffen und Schwerpunkte zu benennen, die wir anpacken müssen.
Das Wacken ist trotz der Größe ein sehr friedliches Festival. Glauben Sie, dass es dabei geholfen hat, das Image des Metals oder der Metal-Heads aufzupolieren und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen?
Jensen: Hier in der Gegend auf jeden Fall. Aber das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Die Kritik vieler Fans, das Wacken sei zu kommerziell, kann ich sogar verstehen. Aber ich sehe das so: Als ich und Holger [Hübner, Mitgründer des Festivals, Anm. d. Red.] ungefähr 1995 in der "Bild am Sonntag" waren, da war mir relativ bewusst, dass dieser Auftritt für den Heavy Metal nicht unbedingt wichtig ist. Aber natürlich für die Wackener und ihr Verhältnis zu den Metal-Fans. Menschen wie mein Vater, der die "BamS" abonniert hatte, war schon stolz, dass zwei aus der Gemeinde da so prominent platziert waren. Wir haben Wacken ja auch in gewisser Weise auf die Landkarte gebracht. Das ist ein Geben und Nehmen.
Green Camping oder exklusives Glamping: Sie lassen sich immer wieder etwas Neues einfallen, um den Besuchern eine besondere Erfahrung zu bieten. Was hat das noch mit dem ursprünglichen Festival-Feeling zu tun?
Jensen: Einige Metal-Fans, die vielleicht jenseits der 50 sind, haben einfach keine Lust mehr zu zelten. Sie nehmen diese Angebote gerne an. Aber was es bei uns nicht gibt, sind spezielle Tickets, mit denen man direkt vor oder auf die Bühne kommt. Vor der Bühne ist bei uns jeder gleich.
Guns N' Roses sollen für eine Show in England fünf Millionen Pfund bekommen haben. Sind solche Summen für das Wacken machbar? Ist diese Preisentwicklung überhaupt noch normal?
Jensen: So funktioniert nun mal der freie Markt. Die Macher des Download-Festivals werden sich das schon gut überlegt haben. Bei uns würde eine solche Summe aber nicht in die Kalkulation passen. Wir wollen und werden den Charakter des Festivals nicht den Wünschen einer einzelnen Band opfern.
Gibt es irgendeine Band, die Sie persönlich gerne noch auf dem Wacken sehen wollen?
Jensen: Wenn Rammstein noch mal kommen würden, wäre das toll. Und es fehlen auch noch einige Bands mit M. Darauf hoffen wir auch noch. Auf der anderen Seite. Hauptsache die Mischung stimmt. Für mich ist es ein richtig starkes Geburtstags-Line-up.