Vorausgesetzt, man trifft die Töne

Die Geigerin Julia Fischer über die Vereinbarkeit von Familie mit künstlerischer Karriere und die Schwierigkeiten des Dvorák-Konzerts, das sie heute in der Philharmonie am Gasteig spielt
von  Marco Frei

Es ist keine leichte Aufgabe als Mutter zweier kleiner Kinder mit einem Orchester herumzureisen. Zum Auftakt einer Tournee mit dem Tonhalle Orchester Zürich gastiert die Geigerin Julia Fischer heute im Gasteig mit dem Violinkonzert von Antonin Dvorák. Als Dirigent springt Michael Sanderling für den erkrankten David Zinman ein.

AZ: Frau Fischer, Sie haben zwei Kinder. Wie bringen Sie das mit Ihrer Karriere zusammen?

JULIA FISCHER: Dieses Problem ist ja nicht neu. Ja, es gab früher vielleicht mehr Frauen, die nicht gearbeitet haben. Aber es gab auch damals schon andere, die berufstätig waren. Ich bin damit groß geworden, dass der Staat bitte alles regeln soll. Meine Eltern kommen beide aus ehemals kommunistischen Ländern – und genau deshalb haben sie diese Staaten verlassen.

Was folgt für Sie daraus?

Man soll die Familien selber entscheiden lassen, welches Modell sie bevorzugen – ohne vorgefertigte Meinung. Wenn eine Frau zu Hause bleiben möchte, soll sie das tun. Ich selbst hatte keinen Stress wegen der Betreuung. Aber ich beobachte das bei Freundinnen. Sie sind im dritten Monat schwanger und haben noch immer keinen Krippenplatz. Das ist furchtbar und ist ein Armutszeugnis für die Gesellschaft.

Sie haben das Dvorák-Konzert schon vor fünf Jahren mit den Münchner Philharmonikern gespielt. Trotzdem ist es eher selten zu hören.

Wenn ich es vorschlage, sagen die Orchester zu. Vor zehn Jahren war es allerdings anders. Warum? Vielleicht hing das mit mir zusammen – weil man dachte, warum muss eine 16-Jährige Dvorák spielen?

Allerdings braucht man ein sehr gutes Orchester, oder?

Ja. Wenn man bei einem B-Orchester gastiert, ist es nicht einfach. Man braucht exzellente Bläser, und es ist auch für den Dirigenten nicht einfach. Das Stück ist formal komplex, da muss man vieles beisammen halten können. Ein gutes Empfinden für den Rhythmus und die Form sind nötig – der Solist und das Orchester können nicht spielen und schauen, wo es hinführt. Es geht um eine Architektur für das Verständnis des Werks, sonst zerfällt es schnell. Am Beginn stehen zwei Solo-Kadenzen, die klappen meistens gut. Aber schon beim ersten Tutti habe ich Orchester auseinander brechen erlebt – dann wird’s traurig.

Wobei viele Solisten ebenfalls mit dem Werk kämpfen und sagen, dass Dvorák nicht für die Geige schreiben konnte.

Konnte Beethoven mit der Geige umgehen? Auch Brahms brauchte Unterstützung durch einen Solisten, um den Violinpart auszufüllen. Paganini konnte wirklich gut für die Geige schreiben, aber wer sonst? Schumann ist furchtbar für die Violine. Deshalb ist diese Aussage für mich nicht relevant. Und ich finde auch, dass alleine die ersten zwei Kadenzen extrem dankbar sind – vorausgesetzt, man trifft die Töne.

Heute, Philharmonie, 20 Uhr. Die neue CD von Julia Fischer mit den Dvorák-Konzert bei Decca

 

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