Vom Schlosser zum Musiker
Er war in den letzten Jahrzehnten an einem der vorderen Pulte eines der Gesichter des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Diese Woche geht der Bratschist Andreas Marschik in Ruhestand. Er war 13 Jahre auch einer der gewählten Orchestervorstände.
AZ: Herr Marschik, pünktlich zu Ihrem Abschied hat Markus Söder bei der Fraktionsklausur in Banz eine Halbierung der Zahl der Rundfunkklangkörper vorgeschlagen. Wie finden Sie das?
ANDREAS MARSCHIK: Ich bin seit über 30 Jahren Mitglied des BRSO und kenne viele der anderen Rundfunkensembles. Die Orchester der Rundfunkanstalten sind überall ausgezeichnet und spielen eine wichtige Rolle bei der Musikvermittlung und in der Kultur unseres Landes. Wieso sollte man sie reduzieren? Wenn man sie nicht über den Rundfunkbeitrag finanzieren will, muss man andere Formen finden. Einfach ein paar Klangkörper dichtmachen - das halte ich persönlich für zu kurz gedacht. Man sollte auch nicht vergessen, dass in der Folge ein paar weitere Wirtschaftszweige von einer solchen Reduzierung betroffen wären.
Sie haben vier Chefdirigenten erlebt: Colin Davis, Lorin Maazel, Mariss Jansons und jetzt Simon Rattle. Was sind und waren deren Stärken?
Ich würde das lieber als Entwicklungsprozess beschreiben. Das Orchester war immer sehr musikantisch und wurde auch damals als internationales Spitzenorchester wahrgenommen, aber es besaß kein wirklich großes Kernrepertoire. Es war damals auch nicht üblich, sich auf ein Projekt so professionell vorzubereiten wie es heute der Fall ist. Als die Nachfolge von Colin Davis anstand, haben wir überlegt, was wir brauchen: größeres Repertoire und mehr Professionalität, damit in den Proben vor allem künstlerisch gearbeitet wird. Dafür war Lorin Maazel der richtige Chef. Er hat uns durch die oft knappe Probenzeit in die Pflicht genommen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen.

2003 kam Mariss Jansons.
Wir haben unter Maazel alle großen Orchesterwerke von Richard Strauss, Beethoven, Brahms, Bruckner und Mahler gespielt. Jansons konnte darauf wunderbar aufbauen und das Klangspektrum des Orchesters erstklassig entwickeln. Er hatte den langen Atem, das Orchester dazu zu bringen, selbst noch besser werden zu wollen.
Simon Rattle wird wohl vor allem das Repertoire erweitern.
Es ist wichtig, die klassischen Stücke zu spielen, aber es ist genau so wichtig, sich ständig weiterzuentwickeln.

Auch die musica viva scheint mir die Flexibilität des Orchesters zu fördern.
Ich sag's ehrlich: Ich höre mir Neue Musik lieber an, statt sie zu spielen. Viele jüngere Kolleginnen und Kollegen sehen das anders. Ohne Zweifel muss man das pflegen - auch von den Werken früherer Jahrhunderte ist nur ein geringer Prozentsatz ins Repertoire eingegangen.
Was ist denn Ihre persönliche Lieblingsmusik?
Ich komme eigentlich von der Alten Musik. In der DDR spielten Musiker des Gewandhausorchesters und des Händelfestspielorchesters Halle zusammen mit Amateuren in Blankenburg im Harz im Telemann-Kammerorchester. Ich habe dort als Schüler an einem Kammermusikkurs teilgenommen und wurde damals eingeladen, im Orchester mitzuspielen.
Wollten Sie schon immer Musiker werden?
Ich wollte immer mit Leuten Musik machen, aber ich habe als 12 oder 13-Jähriger mit dem Geigenunterricht aufgehört, weil mich das Üben genervt hat. Nach dem Abitur - das ich gleichzeitig mit einer Facharbeiterausbildung zum Schlosser absolviert habe - musste ich zur Armee. Ich hatte einen Studienplatz als Schiffbauer, aber ich merkte immer mehr, dass mich das nicht interessiert. Dann habe ich mir einen Job als Orchesterwart, einen Lehrer und eine Bratsche besorgt, um mich auf die Hochschule in Leipzig vorzubereiten. Später war ich dann Solobratscher beim Großen Rundfunkorchester Leipzig. Ich habe auch Quartett gespielt - bei einem Gastspiel bin ich dann im Westen geblieben.
Wie kamen Sie nach München?
Mir war klar: Die besten sind die Berliner Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Ich habe erst in Bielefeld und in Saarbrücken gespielt, mich bei verschiedenen Orchestern beworben und schließlich in München ein Probespiel erfolgreich absolviert.
Was macht eigentlich ein Orchestervorstand?
Er ist ein gewählter Vertreter des Orchesters. Man kann diese Rolle sehr verschieden ausfüllen. Mir war es wichtig, Wege zu finden, um die Arbeits- und Planungsbedingungen zu verbessern - dazu gehört auch, sich für ein eigenes Konzerthaus einzusetzen.

Das ist ein frustrierendes Thema. Auch für Sie?
Ich bin optimistisch: Was lange währt, wird endlich gut. Das Werksviertel ist ein guter Standort wegen seiner großen kulturellen Vielfalt. Es ist auch nicht nur so, dass ein Konzertsaal nur kostet. Das KKL in Luzern - einer Stadt mit 60 000 Einwohnern - hat 240 Millionen Franken gekostet. Es gibt wissenschaftliche Studien, die nachgewiesen haben, dass das Haus der Stadt jährlich 80 Millionen per Umwegrentabilität einbringt. Ein Neubau wird sich daher auch in München rechnen. Und wir sind ein weltbekanntes Orchester, das auch internationale Besucher anlockt.
Die Isarphilharmonie wird nach der Gasteig-Sanierung keine Alternative?
Meiner Meinung nach nicht. Ich halte sie für eine wunderbare Interimslösung, sehe den Bau - auch was die Baumaterialien betrifft - als Provisorium. Das Raumvolumen ist für einen Spitzen-Saal zu gering. Zudem ist das Werksviertel durch die Lage am Ostbahnhof viel besser an den Öffentlichen Nah- und Fernverkehr angebunden. Zur Isarphilharmonie kommt man schlecht hin und abends noch schlechter weg. Wer nimmt noch diesen Weg auf sich, wenn ein optimierter Gasteig neu eröffnet wird?
Man hat den Eindruck, das BR-Symphonieorchester würde bei Dirigentinnen fremdeln. Was sagen Sie dazu?
Wir haben keine Vorbehalte und gehen mit neuen Leuten, egal ob Frau oder Mann, gleichermaßen professionell um. Bei uns zählt nur Qualität. Aber viele Dirigentinnen sind noch jung. Ich habe oftmals erlebt, dass sie, wie viele ihrer jungen männlichen Kollegen auch, von ihren Agenturen gepusht und mit zu wenig Erfahrung zu früh bei den großen Orchestern eingesetzt werden. Das kann Karrieren zerstören. Ich bin aber sicher: Dirigentinnen werden sich durchsetzen. In einigen Jahren ist das Geschlecht kein Thema mehr. Eins der besten Beispiele war erst vergangene Woche und dabei sehr erfolgreich bei uns: Simone Young.

Angst um das Orchester haben Sie nach den Äußerungen Söders nicht?
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist weltweit anerkannt und beim Publikum beliebt. Ich meine: Wenn der Rundfunk und die Politik zu diesem Orchester stehen, dann muss auch ein eigenes Haus dafür geschaffen werden. Das Publikum dafür gibt es: In Deutschland besuchen mehr Menschen klassische Konzert als Fußballspiele.
Gab es ein Konzert mit Ihrem Orchester, das Sie nie vergessen werden?
Beethovens Siebte unter Jansons in der New Yorker Carnegie Hall. Nach dem Schlussakkord ist das Publikum explosionsartig von den Sitzen aufgesprungen. Da hatte einfach alles gepasst.
Andreas Marschik spielt zum letzten Mal beim Benefizkonzert seines Orchesters zugunsten des Adventskalenders für gute Werke der "Süddeutschen Zeitung" am Freitag, den 26. Januar um 20 Uhr im Herkulessaal