Kritik

Vodeon in der Himmelfahrtskirche: Krönung eines Klangmysteriums

Das Solistenensemble Vodeon und Concerto München mit Alter Musik in der Himmelfahrtskirche in Sendling.
von  Michael Bastian Weiß
Drei Mitglieder des Ensembles Vodeon.
Drei Mitglieder des Ensembles Vodeon. © Christian Palm

München - Wer einmal als Laie in einem Chor gesungen hat, weiß: Ohne Stützung durch Instrumente ist es für alle schwer, die Tonhöhe zu halten, um nicht tiefer und tiefer zu sinken. 

Ensemble Vodeon: Wenn die Klänge schon im Körpergedächtnis sind

Die sechs, später acht Profis von Vodeon können nicht nur das, sondern beginnen im Chorraum der Sendlinger Himmelsfahrtskirche die einzelnen A-cappella-Sätze auch noch ohne Hilfsmittel wie Stimmgabeln: Sie haben die Klänge schon im Körpergedächtnis. All das wäre schon eindrucksvoll genug, doch beim Requiem von Jean Richafort kommen noch weitere Herausforderungen hinzu.

Diese Totenmesse, geschrieben vor genau 500 Jahren für den Komponistenkollegen Josquin des Préz, dürfte kaum jemandem geläufig sein; kein Grund zum Schämen, denn selbst die Fachwelt weiß wenig über den Niederländer, der irgendwann zwischen 1547 und 1550 starb. Schwer zu singen ist sein Requiem wegen seiner harmonischen Kühnheit, die sich über sensationell lange Bögen hinweg aufspannt, und sich dabei in avantgardistischen Dissonanzen ergeht.

Faszinierend ist zu verfolgen, wie die Sängerinnen und Sänger von Vodeon unter der Leitung von Clayton Bowman ihre melodischen Linien inständig anschwellen lassen, sie zu glühenden Höhepunkten verdichten - bis an einigen Stellen noch zwei Engelsstimmen hinzukommen, die im Kirchenraum postiert sind und das Klangmysterium auf atemberaubende Weise krönen.

Abgesehen von solchen Gänsehautmomenten ist die Dramaturgie dieses Programms "Lange lebe Josquin!" so sinnfällig, dass man Vodeon verzeiht, wenn vom Jubilar selbst gar nichts gesungen wird. Stattdessen eröffnet das "Totengebet" des 1985 geborenen Johannes X. Schachtner, eine fein gearbeitete Studie über den "Actus tragicus" von Johann Sebastian Bach, einen Rahmen, der mit dem originalen Werk dann auch wieder geschlossen wird. In dieser Kantate wie auch in der Trauerode des englischen Barockmeisters John Blow geht Vodeon mit den Instrumentalsolistinnen des Concerto München einmütig Hand in Hand.

Auch das Ensemble Concerto München lädt jede Phrase rhetorisch auf 

Die beiden Ensembles laden jede Phrase rhetorisch auf: fröhlich, zerknirscht und dann wieder beherzt, ohne dabei je Gesanglichkeit und Klanglichkeit zu vergessen.

In der Sonate F-Dur für Altbockflöte, Oboe und Basso Continuo F-Dur von Georg Philipp Telemann kann man diese einzelnen Affekte sogar am Mienenspiel der Spielerinnen mitverfolgen. Nur einen einzigen Schönheitsfehler hatte dieser beglückende Abend: Man hätte einem größeren Publikum gewünscht, diese Schätze mit zu entdecken.

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