Vikingur Ólafsson und die Tschechische Philharmonie: Wie man einen riesigen Bogen wölbt

Unkompliziert ist er ja. Erst gratuliert Vikingur Ólafsson artig zur Isarphilharmonie ("unglaublich!"), dann nimmt er fröhlich Zugabenwünsche entgegen. Aus den Zurufen wählt er Johann Sebastian Bach aus und spielt das hypnotisches Andante aus dessen Triosonate für Orgel Nr. 4.
Vikingur Ólafsson: ein isländischer Glenn Gould?
Über den schmusigen Bach-Stil Ólafssons kann man streiten – ein "isländischer Glenn Gould", wie manche Kollegen urteilten, ist er gerade nicht. Dafür mangelt es seinem Spiel an Strenge.
Mit Nettigkeit allein kommt man auch bei Robert Schumann nicht weiter. In dessen Klavierkonzert spricht Ólafsson, das muss man ihm lassen, das Publikum mit seiner lebendigen Art direkt an. Der 38-jährige hat auch ein paar eigene Einfälle, zum Beispiel, am Schluss des Kopfsatzes die Basstöne unerbittlich zu markieren wie eine fixe Idee. Leider hört er dabei nicht auf die einfühlsamen Bläsersolisten der Tschechischen Philharmonie, sodass die Idee also nur halb realisiert wird.
Aufs Ganze gesehen ist das größere Problem, dass solche Auffälligkeiten nicht vorbereitet werden und somit willkürlich bleiben, ebenso wie Ólafssons Hang, die Tasten arpeggiert – also versetzt – anzuschlagen, was zunehmend affektiert wirkt, oder sich mit dem Fuß am Pedal festzukleben, sodass Vieles, viel zu Vieles, in diffusen Klangwolken verschwimmt.
Unbekümmert und nachlässig
Dazu kommen seine Unbekümmertheit gegenüber Phrasierung und Akzenten, die Schumann genau vorgeschrieben hat, und eine gewisse Nachlässigkeit beim Artikulieren einzelner Töne, die man fallweise als Schlampigkeit bezeichnen muss. Nein, mit Glenn Gould ist Ólafsson sicherlich nicht zu vergleichen.
Natürlich applaudiert Semyon Bychkov seinem Pianisten am Ende freundlich. Mit seinen Taten widerspricht er ihm aber deutlich, indem er begleitende Passagen mit der Tschechischen Philharmonie, der er seit fünf Jahren vorsteht, unaufdringlich akkurat gestaltet und in den orchestralen Zwischenspielen einen wunderbar warmen, runden, ganz eigenen Schumann-Klang kreiert. Zu seinem 70. Geburtstag, der in wenigen Wochen ansteht, hat Bychkov eines seiner Leib- und Magen-Werke auf das Programm gesetzt: Die Symphonie Nr. 11 "Das Jahr 1905" von Dmitri Schostakowitsch ist ein echter Brocken, ein einstündiger Essay über die Opfer von Revolutionen. Meisterlich ist, wie Bychkov die anfängliche Statik unmerklich verflüssigt, Durststrecken unter Spannung hält und so einen einzigen, riesigen Bogen wölben lässt.
Die Tschechische Philharmonie spielt die skeptischen Fanfaren, instabil raunenden Bässe und maschinengewehrartigen Orchestertutti sensationell bildhaft. Unglaublich, wie die zierliche Schlagzeugerin an der Großen Trommel die akustischen Grenzen der Isarphilharmonie austestet.