Viermal Brahms im Herkulessaal
Neulich wurde ich gefragt, was an diesem Brahms eigentlich dran sei. Eine mögliche Antwort: Musiker bewundern die raffinierte Verwandlung der Themen, die Konzert-Normalverbraucher schätzen den emphatischen Ausdruck und die herbe Größe seiner Orchesterwerke. Und das Persönliche und Private, das bei vielen Spätromantikern so unangenehm vorschmeckt, verbirgt sich hier hinter viel Respekt vor der Tradition der Wiener Klassik.
Die beste Antwort ist natürlich ein gelungenes Konzert. Wenn das so einfach wäre! Der technokratisch ausgebeinte Brahms wird leicht langweilig, die große romantische Soße schlägt leicht auf den Magen. Aber es ist ein Mittelweg möglich, für den es aber viel Erfahrung braucht.
Die hat der 86-jährige Herbert Blomstedt. Er ist einer jener Dirigenten, die im Alter immer besser werden. Im Herkulessaal vereinte der Schwede mit US-Wurzeln vier Werke nach dem Ur-Prinzip „Durch Nacht zum Licht“. Blomstedt begann mit der „Tragischen Ouvertüre“, ließ die Dritte Symphonie folgen und endete nach den Haydn-Variationen mit der „Akademischen Festouvertüre“. Ihr Brachial-Witz blieb trotz des besten Willens bemüht, weil die verarbeiteten Lieder keinem heutigen Bachelor oder Master mehr etwas bedeuten.
Blomstedt ließ das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal vor allem spielen – dafür wird er von den Musikern geliebt. Seine eher raschen Tempi haben etwas von Altersfuror. Die „Tragische Ouvertüre“ bekam bisweilen die Leichtigkeit eines Stücks von Mendelssohn. Gleiches wollte sich bei den Haydn-Variationen weniger einstellen: Hier war das Orchester oft zu laut, und die Oboe piekste unangenehm stachelig. Der Streicherklang war dafür sehr farbig aufgefächert. Also: keine Sternstunde, aber durchaus ein Abend, um Brahms lieben zu lernen.