Vicky Leandros in der Isarphilharmonie: Ein Abschied voller leiser Momente

München - Da steht sie nun da. Jene Frau, die mich seit frühester Jugend bezaubert, mich mit ihren Liedern und ihrer Ausstrahlung und ihrem Charme betört hat. Und den um mich in der Isarphilharmonie sitzenden Anderen – von jung bis alt – geht es ähnlich.
Wie oft habe ich das skurrile Video von „Einmal ist doch keinmal“ angeschaut? Hunderte Male! Und nun sehe ich sie leibhaftig, im todschicken langen Paillettenkleid, und sie kämpft bei der Begrüßung kurz mit den Tränen, keiner weiß genau, warum. Ist es Rührung, Aufregung, Demut? Sie verrät es nicht.
Eine fabelhafte Band
Dieses kurze Weinen bleibt allerdings auch die einzige wahrhaftige Emotion des Abends. Vicky Leandros wirkt etwas neben der Spur, rennt mehrmals zur Thermoskanne, um sich Kaffee in die Tasse zu schütten. Das ist eine Art wiederkehrender Bezugspunkt. Die neunköpfige Band hinter ihr musiziert fabelhaft und trägt einen Großteil der Bühnenstimmung, aber Vicky bleibt ganz bei sich.
Sie hat sich als Konzept überlegt, im ersten Teil kaum deutsche Texte zu singen. Das Eröffnungslied ist „Après toi“, ein Titel aus der Feder ihres Vaters Leo Leandros, mit dem sie 1972 den Grand Prix Eurovision de la Chanson gewonnen hatte. Zwischendurch plaudert sie munter über die Jugend, als sie ein Journalist als „pummelige Eintagsfliege“ bezeichnete, wobei sie das Wort „pummelig“ mehr aufgeregt hatte als die Vermutung, ihr Talent reiche nicht für eine Karriere.
Später berichtet sie über ihre Aufenthalte in Japan und den Staaten, von Projekten, Kolleginnen, Kollegen, Turbulenzen, erklärt den Grund für ihre Abschiedstour im Alter von 72 Jahren: Da es sie immer glücklich machte, die Menschen mit ihrer Stimme zu berühren, wird sie nach dieser Tournee aufhören, da sie nicht zu dem Punkt kommen möchte, dass sie das Publikum nicht mehr mit ihrer Stimme erreichen könne.
Abschied kann eine Erleichterung sein, aber auch schwerfallen. Der Abend hat bewegende Momente – etwa, als sie ihr allererstes Teenager-Lied „Messer, Gabel, Schere, Licht“ singt oder durch die Reihen läuft und einzelne Personen gemeinsam mit ihr „Blau, blau so wie das Meer, so wie der Himmel über uns Zwei’n. Weit, weit so wie das Meer, gehen wir zwei nun Hand in Hand“ singen dürfen. Manche machen es beeindruckend gut.
Nicht nah, aber toll
Zwei kurz auftauchende Gastgitarristen sind kaum ausgesteuert. Vicky ist gut zu sehen, aber die innere Präsenz lässt sie am heutigen Abend vermissen. Es fühlt sich so an, als würde sie keine Abschlusstour präsentieren, sondern ein willkürliches Medley aus ihren unbekanntesten und verborgenen Liedern, und gleichzeitig den Beweis anstellen, in wie vielen Sprachen sie singen kann.
Doch darum geht es nicht. Vickys Anhängerinnen und Anhänger sind erschienen, um sich bewegend berieseln zu lassen, um eine würdige Verabschiedung ihres Stars zu erleben, gerne auch Selbstbeweihräucherung, gerne auch Schlager, gerne auch Hits. Doch Vicky liefert überwiegend Songs aus dem Geheimkästchen. Im ersten Teil gibt es außer der Karaoke-Nummer nur Lieder in englischer, französischer und griechischer Sprache, Klassiker von Theodorakis – alles glasklar.
Auf einmal verlässt die Protagonistin eilig, unverhofft und leicht verhuscht das Podium. Der Pianist steht auf und erklärt, dass nun Pause sei.
Dann doch Schlager
Auch in der zweiten Hälfte entsteht nicht der Eindruck, als würde sich Vicky in irgendeiner Form für die Zuschauerschaft oder ihre Mitmusiker interessieren. Sie wirkt nie nah. Dennoch ist der Abend toll. Im zweiten Teil packt sie die deutschsprachigen Schlager aus.
Obwohl ihre Stimme mit den Jahren tiefer wurde, trifft sie noch immer die glockenhellen Töne ihrer Jungmädchenstimme und kann einen Ton ewige 15 Sekunden lang halten. Nicht ein Geräusch kommt vom Band, Vicky hat es mit Anfang Siebzig stimmlich noch immer drauf.
Mit zwanzig Top-Hits und über 55 Millionen verkauften Tonträgern gehört die vielfache Oma zu den erfolgreichsten Künstlerinnen im deutschsprachigen Raum. Ihr Vater legte ihr das Talent in die Wiege, ihr Weg war geebnet, sie nahm Gesangs-, Gitarren- und Ballettunterricht. Mit fünf Jahren zog die Familie von Korfu nach Hamburg, mit ihrer ersten Single kam Vicky in die Charts, allerlei Wettbewerbe gewinnt die Leandros danach. Mit Evergreens wie „Theo, wir fahr’n nach Lodz“ ist sie wochenlang die Nummer eins in den Radios. Es folgen viele Songs in Griechisch, Englisch, Französisch, Niederländisch, Japanisch und Spanisch. Das Angebot, 2006 Berliner Kultursenatorin zu werden, lehnt sie ab, sie wird aber kurz danach jedoch für zwei Jahre Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Kultur und internationale Beziehungen in Piräus.
Diesmal kein Absturz
Dieses Jahr jagte die schöne Griechin ihrer Zuschauerschaft in Hannover einen Riesenschrecken ein. Zunächst verlief alles wunderbar: Der Abend war erfüllend, harmonisch und stimmungsvoll, Vicky sang ihre letzte Zugabe, die Menschen sangen den Refrain im Chor mit, doch im Überschwang ihrer Performance kam sie dem Bühnenrand riskant nahe. Unverhofft tat sie einen unbedachten Schritt und verlor das Gleichgewicht.
Dieser Moment schien sich wie in Zeitlupe abzuspielen, die Zuschauer schrien vor Angst auf, als die Sängerin jäh direkt in den Zuschauerraum stürzte. Die vorne sitzenden Fans sprangen auf, eilten zu Hilfe, zähe Sekunden verstrichen, die wie eine Ewigkeit wirkten. Die Menge war in einer Art kollektivem Schock, Herzklopfen im gesamten Saal.
Doch dann folgte die Erlösung: Vicky Leandros stand auf, die Wangen vom Schrecken leicht gerötet, ließ sich wieder auf die Bühne führen, leicht benommen, doch offenbar unverletzt. Sie trat ans Mikro, erklärte, dass es ihr gut ginge und dankte ihrem Schutzengel. Der folgende Applaus war der gewaltigste des Abends.
Das Schlusslied wurde nochmals angestimmt und der Abend endete wie so oft tränenreich, diesmal aber nicht nur aus Rührung und Sentimentalität, sondern auch aus Verbundenheit und Erleichterung.
Auch in München singt sie dieses Lied: „Ich liebe das Leben“, jene Hommage an die Freiheit, die Aron Lehmann in seiner schönen Griechenlandkomödie „Highway to Hellas“ für die beglückende Schlussszene verwendete, jener versöhnliche Song, der davon handelt, dass sich das Karussell auch nach der Trennung von einem geliebten Menschen weiterdrehen wird, der Schmerz vorbei gehen wird, man sich nicht sorgen, sondern im Guten und mit Liebe im Herzen auseinandergehen soll.
Was für ein gelungenes Finale eines stellenweise etwas schleppenden Abschiedskonzertes. Tränen zu Beginn, Tränen am Schluss.
Die Fans sind zufrieden, beglückt, dabei gewesen zu sein. Danke, Vicky, dass es dich gibt!