Valery Gergiev und Daniil Trifonov beginnen ihren Rachmaninow-Zyklus
Auftakt zum Rachmaninow-Zyklus mit Daniil Trifonov und Valery Gergiev mit dem Mariinsky Orchester St. Petersburg im Gasteig
Wie er so tief über die Klaviertasten gebeugt ist, der schmächtige junge Mann im Frack, mit Bart und leicht wirren Haaren, könnte er einem Gemälde von Édouard Manet entsprungen sein. Das Spiel Daniil Trifonovs jedoch verweist weder auf das spätere 19. Jahrhundert noch ist es bloß modern: Es ist zeitlos. Eben das prädestiniert den jungen Russen für Sergej Rachmaninows kompositorisch höchststehende Konzertkunst, über die immer noch zu viele unpassende Klischees im Umlauf sind.
Herauszukriegen, wie er es tatsächlich anstellt, ist kaum möglich, aber auf jeden Fall scheint Trifonovs Anschlag auf irgendeine geheime Art und Weise nicht nur mit den Tasten, sondern mit den Saiten selbst im direkten Kontakt zu stehen, einen solchen wahrhaft außerordentlichen Einfluss hat er auf den Klang. Sein Ton hat eine Art spezifischen Gewichts und einen verlässlich festen Kern. Diese konkurrenzlose Substanz – man könnte vielleicht noch an Yuja Wang denken – rührt auch von der ruhigen Zentriertheit her, aus der heraus Trifonov agiert. Er zeigt auch im bewegten Tempo der Paganini-Rhapsodie Rachmaninows die Geduld, die Hämmer mit eherner Erhabenheit auf die Saiten schlagen zu lassen.
Ein Temperamentsmusiker
Gerade in einfachen Passagen, etwa dem pathetischen Hauptthema des Kopfsatzes von Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 1 fis-moll, prägt sich ein herrlich schweres Pesante aus, das die Motive so plastisch in den Raum schickt, dass sie dort fast mit den Händen ergriffen werden können. Wenn der späte Rachmaninow im letzten der Konzerte Nr. 4 g-moll extrem reduziert schreibt, etwa im langsamen Satz „Largo“, setzt Trifonov ein atmendes, exakt bemessenes Non-Legato für die Melodien ein, das den Steinway nicht etwa nur zum Singen, sondern auch zum Sprechen bringt.
Vor allem aber ist Trifonov ein Temperamentsmusiker, der besonders in den Kopfsätzen der Konzerte Nr. 1 und 4 einen in seiner zunehmenden Blindheit bestürzenden Furor entfacht, dazu den Flügel methodisch, unter ökonomischem Pedalgebrauch, mit Klang anfüllt, und sich fast in die Hysterie hineinsteigert – es ist die Selbstkontrolle seines Pesante-Anschlags, die ihn vor der Raserei bewahrt. Zum Glück ist das so, denn von seinem Begleiter Valery Gergiev könnte er keine Mäßigung erwarten. Nach bald dreißig Jahren an der Spitze des Mariinsky Orchesters St. Petersburg braucht Gergiev keine dirigentische Übersetzung mehr. Die hervorragenden Spieler wissen, was er will, er kann mit ihnen vollblütig aus dem ganzen Körper heraus musizieren, ab und zu kommt zu den weniger präzise vorgegebenen als vielmehr von innen her mitreißenden Bewegungen noch ein vernehmliches Zischen oder Grunzen hinzu.
Wunder der Spontaneität
In Rachmaninows kaum gespielter Symphonie Nr. 1 d-moll wirkt diese Spontaneität Wunder, weil der Überdruck manche kompositorische Unbeholfenheit in den Hintergrund schiebt: Die Bässe weben so machtvoll, dass die Philharmonie vibriert, die Bläsersolisten haben keine Scheu vor exzessivem Pathos, der Streicherkörper lässt Muskeln spielen, aber nicht um zu zerstören, sondern um aufzubauen.
Auf weniger Gegenliebe stößt diese hemdsärmelige Haltung in Rachmaninows elegischer, weitaus subtiler gefügten Symphonie Nr. 2 e-moll. Viele, viele ignorierte Piano- und Pianissimo-Vorschriften lassen das Musizieren allzu unreflektiert erscheinen, im Gegensatz zu Trifonov hat Gergiev keine Kontrollinstanz verinnerlicht. Dennoch: Aus diesem Kontrast fliegen in den beiden Konzerten aufs schönste die Funken.
Das 2. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow spielt Daniil Trifonov mit den Münchner Philharmonikern unter der Leitung von Valery Gergiev am 14. und 16. Februar um 20 Uhr, am 15. Februar als Jugendkonzert um 19 Uhr, jeweils in der Philharmonie. – Mit dem London Symphony Orchestra hat Valery Gergiev außerdem vor zwei Jahren Rachmaninows Symphonie Nr. 1 eingespielt (auf dem Label des Orchesters, LSO).