Utopie ist machbar, Herr Nachbar!

Valery Gergiev und ein deutsch-russisches Orchester mit Mahlers Fünfter im Gasteig
von  Robert Braunmüller

Am Anfang stehen Schmerz und Trauer. Dann stochert die Musik in alten Wunden. Die Liebe macht alles wieder gut, und dann springt das Finale der Symphonie mit einer lockeren Leichtigkeit, die nur mit Ironie möglich ist, in eine heiter-utopische Zukunft.

Besser als mit Gustav Mahlers Fünfter lassen sich Höhen, Tiefen und Hoffnungen der deutsch-russischen Freundschaft kaum beschwören. Und bald rückt uns dieser Nachbar noch näher: In zwei Jahren haben die Münchner Philharmoniker und das Mariinsky Orchester St. Petersburg den gleichen Chef: Valery Gergiev. Alle drei lieben den dunkel-satten Klang, und so nahm man nicht die geringste Nahtstelle bei der Spontan-Vereinigung beider Klangkörper anlässlich des deutsch-russischen Jahres wahr.

Die Philharmoniker trugen Frack, die Russen Smoking. Die großen Soli in der Trompete und im Horn vertraten die hiesigen Guido Segers und Jörg Brückner. Bei allem, was sich gegen die Personalie Gergiev einwenden lässt: Mahler kann er. Da fliegen die Fetzen, das Blech tobt, die Streicher flehen.

Der Dirigent liebt das katastrophische Fortissimo, ohne gleich in eine übertriebene Theatralik zu verfallen. Der Nord-Ossete misstraut zwar – vielleicht mit falscher Rücksicht auf die Gasteig-Akustik – allen Schattierungen unterhalb der mittleren Lautstärke. Aber die Dramaturgie stimmte: Das dreifache Forte am Schluss des zweiten Satzes blieb bei aller Lautstärke ein Aufschrei und schmerzhafter Hieb, den Gergiev angemessen hervorhob.

Die Balance zwischen den Details und dem Groß-Zusammenhang war beispielhaft gewahrt. Der heikle Einsatz des Chorals blieb so zweideutig, wie er (wohl) gemeint ist: als überraschende Wendung, doch eingebunden in den symphonischen Zusammenhang.

Das vergleichsweise rasch genommene Adagietto zerfloss nicht in Sentimentalität, es hatte herbe Größe. Nur das Finale gelang nicht völlig: Hier stand der eher auf erdige Rundung bedachte Tonfall des Orchesters der komponierten Leichtfüßigkeit etwas im Weg.

Aber die Verwirklichung einer Utopie bleibt nun einmal das Schwerste im Leben wie in der Kunst. Nehmen wir es prophetisch für die deutsch-russischen Beziehungen: Denen steht auch noch eine Menge Anstrengung bevor.

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