Unverheilte Wunden einer Orchesterfusion
Das SWR-Symphonieorchester unter Dmitrj Kitajenko im Prinzregententheater
MÜNCHEN - Wie verschieden man doch acht einfache Akkorde spielen kann! In die einleitenden Klänge zu Sergej Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 c-moll hatte sich Nikolai Tokarev neulich geradezu meditativ hinein versenkt, bis er sich zum Moderato-Hauptsatz aufraffte. Anna Vinnitskaya hingegen steuert mit jedem der Akkorde, die sie nonchalant anschlägt, zielstrebig auf das einleitende Thema zu. Von Anfang an übernimmt sie im Prinzregententheater die Funktion eines Motors, der alle antreibt.
Damit hat sie die Rollen bereits innerhalb der ersten Takte unmissverständlich allein durch ihr pianistisches Handeln verteilt: Dmitrij Kitajenko steuert am Pult des SWR Symphonieorchesters eine üppige Klangumgebung bei, die russische Pianistin bewegt sich in dieser mit völliger Freiheit. Sie entlockt dem Steinway einen seltenen Klangluxus, der im Diskant auch einmal gleißen darf, bisweilen aber auch in ein aufreizendes Leggiero überführt wird. Die Initiativen liegen bei ihr. So trägt Vinnitskayas Ungeduld dazu bei, dass die Tempomodifikationen im Kopfsatz fast zu Brüchen geschärft werden.
Ein Produkt der Ingnoranz
Man darf nicht vergessen, dass das SWR Symphonieorchester zwar auf dem Papier, aber noch nicht in der musikalischen Realität existiert. Erst im Sommer dieses Jahres wurde dieser Klangkörper äußerst brachial durch die Zusammenlegung des SWR Symphonieorchester Baden-Baden/Freiburg, das als Orchester der Musiktage in Donaueschingen eine einzigartige Kompetenz auf dem Feld der zeitgenössischen Musik hatte, mit dem Radio-Symphonieorchester Stuttgart, das nicht zuletzt ein ausgewiesenes Opernorchester war, geschaffen.
Der Rundfunkrat im Südwesten hatte in völliger künstlerischer Ignoranz und entgegen dem Appell Hunderter von Komponisten und Dirigenten eine Fusion angeordnet. Organisch gewachsene Orchester mit eigener Individualität wurden dabei zerstört.
Es knirscht
Kein Wunder also, dass der seit diesem Jahr existierende Apparat noch nicht er selbst ist. Kitajenko setzt seine reiche Erfahrung dazu ein, die neu zusammengewürfelten Musiker sicher durch Peter Tschaikowskys „Pathétique“ zu führen, kann jedoch nicht übertünchen, dass sich alle noch zu Beginn der Konstitutionsphase befinden und dass auch für einen Teil der Musiker die russische Romantik ungewohntes Repertoire sein dürfte.
Natürlich sind das alles hervorragende Instrumentalisten, doch sie sind sich noch nicht genügend vertraut. Beim Weiterreichen von Motiven knirscht es, die Gruppen sind in sich noch nicht abgestimmt, einmal drohen Holz und Streicher auseinanderzufallen. Man kann diesem unfreiwilligen neuen Orchester nur wünschen, dass die Zeit diejenigen Wunden heilen wird, die von den unmusikalischen Bürokraten geschlagen wurden.
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