Unterwegs mit Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski

Mit Vladimir Jurowski, dem neuen Generalmusikdirektor der Bayerischen Staastsoper, auf Tour in Spanien.
von  Marco Frei
Der Dirigent Vladimir Jurowski.
Der Dirigent Vladimir Jurowski. © Peter Meisel

Er sitzt im Zug von Madrid nach Alicante. In einer Thermoskanne hat er sich einen Tee mit frischem Ingwer aufgebrüht. Darauf schwört Vladimir Jurowski. Auf Orchesterreisen tut er das ganz besonders, so wie jetzt. Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, bei dem er seit 2017 als Chefdirigent wirkt, tourt er Anfang Dezember durch Spanien. In München macht er sich hingegen eher rar.

Bisher ist "der Neue" nur selten zu sehen

Jedenfalls fällt auf, dass Jurowski in seiner ersten Spielzeit als neuer Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper nur wenige, sorgfältig ausgesuchte Projekte leitet. Als erste Neuproduktion der Spielzeit dirigierte er "Die Nase" von Dmitri Schostakowitsch. Seine nächste und zugleich letzte Premiere in dieser Saison steht erst im Juni an. Dazwischen bleibt nicht gerade viel: eine Wiederaufnahme des "Rosenkavalier" und drei Konzerte mit dem Bayerischen Staatsorchester.

"Das war auch so geplant", so Jurowski im Gespräch. Das bayerische Kunstministerium sei damals nicht seinem Wunsch gefolgt, in seiner ersten Saison in München noch kommissarisch als Generalmusikdirektor zu wirken und erst in der zweiten Spielzeit voll einzusteigen. "Es wurde darauf bestanden, dass ich den Titel sofort ganz akzeptiere. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich so viel wie möglich mache."

Er habe "etwas Luft" gebraucht nach seinem Weggang aus London von den dortigen Philharmonikern sowie vom Swetlanow-Sinfonieorchester in Moskau und dem Enescu-Festival in Bukarest. Gleichzeitig ist da noch sein Orchester in Berlin: "Ich hätte es sehr unfair gegenüber dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin empfunden, mich einzig auf München zu konzentrieren."

Wer ihn jetzt sehen will, muss nach Spanien reisen

Wer Jurowski in dieser Saison umfassend erleben will, muss also nach Berlin reisen - oder eben mit ihm und dem Rundfunk-Sinfonieorchester durch Spanien touren.

Eine solche Tournee ist die optimale Gelegenheit, um Dirigenten und Orchester genauer kennenzulernen. Wie tickt Jurowski als Dirigent? Wie arbeitet er mit Musikern? Es ist nicht gerade einfach, ihn in seiner Haltung als Musiker zu fassen. Auf den Proben in Spanien ist ein Dirigent zu erleben, der ganz genau und akribisch an Details feilt. Im Gespräch betont der 49-Jährige eine "Demut dem Werk gegenüber" und ein "geistiges Dienen".

Die Musik will geweckt werden, "wie Dornröschen"

Was wie eine hohle Phrase klingt, von vielen Dirigenten oft und gern dahingesäuselt, ist bei Jurowski authentisches Programm. Sein "Findungs-Prozess" setzt sich manchmal noch im Konzert fort. Er möchte nicht stehenbleiben, und in diesem Sinn gibt es keine finalen Lösungen. Für Jurowski hängt das auch mit der Natur des Dirigierens an sich zusammen. Er spricht von der "Fähigkeit, ein Musikstück zu rekonstruieren".

"Die Musik ist vom Komponisten erschaffen worden und schlummert unter dem Papier. Wir können das Stück natürlich nicht neu komponieren, aber es wird immer wieder neu lebendig. Es ist wie Dornröschen: Sie wird zum Schlaf gelegt und muss jedes Mal wachgeküsst werden." Genau das sei seine Aufgabe. "Dass ich das nicht alleine tue, sondern mit dem Orchester, ist ein sehr wichtiger weiterer Aspekt."

Jurowski: "Dirigiere nicht das Offensichtliche, was in den Noten steht"

Was diese Zusammenarbeit konkret bedeutet, das erklärt Jurowski mit Worten von Gennadi Roschdestwenski. Der 2018 verstorbene Dirigent hat große Verdiente um Schostakowitsch. Nach Jahrzehnten des Verbots in der Sowjetunion war er es, der 1974 eine Wiederaufführung der Oper "Die Nase" realisierte: ein Jahr vor Schostakowitschs Tod. Aus ihr folgte zugleich die erste Einspielung für Tonträger, bis heute ein Meilenstein der Interpretation.

Vladmir Jurowski (rechts) und der Geiger Leonidas Kavakos.
Vladmir Jurowski (rechts) und der Geiger Leonidas Kavakos. © Peter Meisel

"Alles, was in den Noten steht, ist euer Verantwortungsbereich. Was nicht in oder zwischen den Noten steht, das ist mein Verantwortungsbereich." Das soll Roschdestwenski auf Proben gern gesagt haben. Das Fazit: "Ich dirigiere nicht das Offensichtliche, was ohnehin in den Noten steht." Für Jurowski war Roschdestwenski ein "zweiter großer Mentor" - neben seinem eigenen Vater, der Dirigent Michael Jurowski. Er war einst in Moskau Assistent von Roschdestwenski.

Eine freundschaftliche Beziehung zu den Eltern ist wichtig

War es einfach für ihn, als Vater einen bekannten Dirigenten zu haben? "Es ist nie einfach zwischen Vater und Sohn, wenn sie denselben Beruf ausüben", erwidert Jurowski. "Früher musste ich immer derjenige sein, der den Diplomaten spielt. Inzwischen ist mein Vater durch die Lebenserfahrung und sein Alter aber sehr viel gelassener geworden. Er muss auch nicht immer Recht behalten."

Ist sein Vater inzwischen sein bester Freund? "Freunde wählt man sich selbst, die Eltern nicht. Es ist wichtig, dass man eine freundschaftliche Beziehung zu seinen Eltern hat. Das ist bei mir der Fall, mit beiden. Ich möchte auch für meinen Sohn nicht der beste Freund sein. Ich bleibe lieber ein guter Vater" - und natürlich ein guter Dirigent.

Jurowskis Arbeitsweise ist ungewöhnlich

Was einen guten Dirigenten ausmacht, dafür bemüht Jurowski seine Thermoskanne mit dem frischen Ingwer-Tee. "Entweder man füllt die Kanne voll bis zum Rand, schließt sie und sie schwappt über. Oder aber man füllt sie nicht ganz bis zum Rand, damit sie nicht überschwappt, und gießt lieber noch etwas Wasser hinzu." Deswegen plane er Aufführungen nicht bis ins letzte Detail durch. "Natürlich weiß ich, was ich will. Ich denke aber, dass die Musik von einem kleinen Spielraum profitiert."

Ein Kontrollfreak ist Jurowski also nicht. "Mir ist lieber, wenn ich locker lassen kann." Für Orchester ist dieser Spagat nicht immer einfach. Von Musikern des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin ist zu hören, dass sie sich an diese Freiheit und gleichzeitige Detailarbeit erst gewöhnen mussten. Das ist jetzt auch aus dem Bayerischen Staatsorchester zu vernehmen. Der Blick nach Berlin verrät: Es lohnt sich, wenn alle an einen Strang ziehen.

Im März ist er wieder in München

Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin hat Vladimir Jurowski zuletzt bei Pentatone die Alpensymphonie von Richard Strauss aufgenommen. Jurowskis nächster Termin in München ist das Akademiekonzert mit dem Bayerischen Staatsorchester am 7. März 2022

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