Und höret, sie sieht!
Anna Netrebko in der konzertanten Oper „Iolanta“ von Peter Tschaikowsky in der ausverkauften Gasteig-Philharmonie
Es ist so ziemlich die schwierigste Aufgabe, die einem auf der Bühne zustoßen kann: eine mit natürlicher Herzensgüte reich versehene und geradezu engelhafte Person zu verkörpern, die an einem schweren Schicksal zu tragen hat, ohne irgendwie sentimental oder gar kitschig zu wirken.
Anna Netrebko kann es. Peter Tschaikowskys letzte Oper „Iolanta“ erzählt von einer blinden Prinzessin, die mit Hilfe der Liebe und dank der Kunst eines arabischen Arzts sehen lernt.
Für diese Rolle ist sie eine Idealbesetzung: Die Russin verfügt über die dramatischen Reserven für den großen Hymnus an das Licht, sie kann sich im Arioso am Anfang der Oper dank einer italienisch geschulten Technik zurücknehmen. Die nachgedunkelte Stimme erdet die Rolle mit einer natürlichen Erotik, die Tschaikowskys Märchenfigur in einen Menschen aus Fleisch und Blut verwandelt.
Die Netrebko hatte ihren Partnern noch etwas voraus: Mit ihrem schauspielerischen Naturtalent konnte sie alles szenisch Wichtige andeuten, weshalb dieser Abend in der trotz hoher Preise ausverkauften Philharmonie viel weniger halbherzig und behelfsmäßig wirkte, als es konzertante Aufführungen sonst zu tun pflegen. Ein paar Gesten genügen Anna Netrebko für Iolantas Blindheit. Die im großen Liebesduett wichtigen Rosen standen in einer Vase neben dem Dirigenten Emmanuel Villaume, der die Sängerin mit der Slowenischen Philharmonie solide und unspektakulär begleitete. Groß aufdrehen konnte er nicht, weil die eher diskrete, dem französischen Drame lyrique verwandte Oper auf die große Weltschmerzgeste von Tschaikowskys Symphonien verzichtet.
Der Star hatte exzellente Partner: Der Bassist Vitalij Kowaljow, als Fiesco im kommenden „Simon Boccanegra“ der Bayerischen Staatsoper besetzt, sang mit rundem, vollem Bass die Rolle des gütigen Königs René. Der Graf Tristan Vaudémont von Sergey Skorokhodov war aus dem kräftigen und zugleich biegsamen Metall eines slawischen Helden geschmiedet. Auch die vielen kleinen Rollen waren mit Russen, Slowenen und einem Koreaner verlässlich besetzt.
Die Netrebko trug ein schulterfreies blaues Fischschuppenkleid. Sie weiß fast alles zu tragen. Warum sich die übrigen, im Programmheft durchaus knusprig anzusehenden jungen Damen allerdings in seltsam bizarre Kleider gezwängt hatten, wie man sie höchstens noch auf Hochzeiten zu sehen bekommt, wird ein ewiges Rätsel bleiben, das uns trotzdem immer wieder wundert.