Udo Lindenberg in München: Ganz großer Rock-Zirkus

München - Beim Lied "Kompass" fallen plötzlich die riesigen Boxen rechts und links über der Bühne aus. Udo Lindenberg singt weiter, die Band spielt weiter, sie bekommen es bis zum Ende des Stücks offensichtlich gar nicht mit - nur: Das Publikum hört nichts mehr.
Später tönen die Boxen wieder für kurze Zeit, fallen wieder aus. Man denkt an den begnadeten Lindenberg-Imitator Helge Schneider und dessen Nummer mit dem gespielt defekten Mikrofon.

In der mit mehr als 12.000 Menschen völlig ausverkauften Olympiahalle gibt es bald wütende Pfiffe und "Lauter!"-Rufe. Man mag sich gar nicht vorstellen, was für Szenen sich in solchen Momenten hinter der Bühne abspielen.
Tonstörung in der Olympiahalle: Udo Lindenberg bleibt gelassen
Aber der 76-jährige Lindenberg, mit mehr Jahrzehnten Bühnenerfahrung als so ziemlich jeder andere aktive Musiker des Landes, kriegt natürlich keine Panik, sondern streckt den Boxen den Mittelfinger entgegen, tanzt ein bisschen, plaudert ein bisschen, singt mit dem Publikum "Hinter dem Horizont" an - und bald ist die Tonstörung nur noch eine etwa halbstündige Episode an diesem Abend (wenn auch die Angst vor einem weiteren Ausfall noch einige Zeit bleibt), und der Rock-Zirkus geht weiter!
Riesenflamingos mit Riesenjoints und Stelzengänger staksen herum
Bei einem Udo-Lindenberg-Konzert haben die Augen noch mehr zu tun als die Ohren. Immer schweben irgendwo irgendwelche sexy gekleideten Frauen von der Bühnendecke, Geistliche seilen sich aus übergroßen Kirchenglocken ab, Nonnen werfen ihre schwarze Kleidung ab und laufen in roten Glitzer-Bodys weiter, Kinderchöre treten auf, Menschenzüge mit 20, 30 Köpfen rauschen über die Bühne, Riesenflamingos mit Riesenjoints und Stelzengänger staksen herum.
Udo erzählt Schwabinger Drogengeschichten aus seiner frühen Zeit in München
Auch Udo selbst schwebt am Anfang vom Hallenhimmel, singt "Honky Tonky Show" und das wunderschön-trotzige "Mein Ding" und den inzwischen modernisiert beschwingten Klassiker "Cello". Singt für sexuelle ("Na und") ethnische ("Bunte Republik Deutschland") Toleranz und gegen den Krieg ("Wozu sind Kriege da?" und "Wir ziehn in den Frieden").
Singt von seiner Hamburger Wahlheimat ("Reeperbahn" und "Andrea Doria") und erzählt Schwabinger Drogengeschichten aus seiner frühen Zeit in München.
Udo Lindenberg: Kein Problem mit der Glaubwürdigkeit
Das war in den 1970ern - Lindenbergs Lieder sind auch eine Chronik der Bundesrepublik - der "Sonderzug nach Pankow" über die deutsch-deutsche Verständigung fehlt natürlich nicht.
Aber auch nicht die beiden herzzerreißend schönen Lebensbilanz-Lieder "Wieder genauso" und "Das Leben". Wenn einer wie Udo Lindenberg das singt, einer, der wirklich alle Höhen und Tiefen des Daseins durchgemacht hat, kann man über die Glaubwürdigkeit nicht meckern.
Udos Publikum: Hier wird Entspanntheit gelebt und Toleranz gefeiert
Das Publikum in der Olympiahalle ist ein Multi-Generationen-Projekt. Menschen im Großeltern-Alter tanzen, Kinder sitzen auf Elternschößen (und schlafen zu später Stunde dann dort selbst angesichts des Spektakels allmählich ein).
Den Fans von Udo Lindenberg würde man bedenkenlos seine Wohnungsschlüssel anvertrauen. Wo sie sich versammeln, wird Entspanntheit gelebt und Toleranz gefeiert.