Udo Jürgens: Mit 80 Jahren mitten im Leben

Diese Hits kennt jeder: „Aber bitte mit Sahne“, „Griechischer Wein“, „17 Jahr, blondes Haar“ oder auch „Ein ehrenwertes Haus“. Am 30. September wird Udo Jürgens Jürgens 80. Für ihn Grund genug, noch mal richtig durchzustarten. Der Schlagerstar im AZ-Interview.
von  Interview: Thomas Burmeister

AZ: Als Sie 70 wurden, haben Sie Ihr „biologisches Alter“ mit „ungefähr 50“ angegeben. Wie fühlen Sie sich heute mit 80?

UDO JÜRGENS: Vielleicht wie 51. Also, ich merke keinen großen Unterschied, abgesehen von den typischen Wehwehchen, die man so hat, wenn man älter wird. Aber es gibt keinen Unterschied in meinem Geist.

Blicken Sie manchmal im Zorn zurück?

Dass die Lebensfreude verloren geht oder dass man zum Zyniker wird - wie das beim Älterwerden ja oft der Fall ist -, ist bei mir ausgeblieben. Wobei ich durchaus weiß, wie alt ich bin. Ich mache kein Geheimnis daraus und ich versuche nicht, durch alle möglichen Tricks jünger zu erscheinen.

Aber die weitaus meisten Menschen geben ihren Beruf auf, wenn sie Mitte 60 sind...

Sehr oft ist ein Beruf hartes Schicksal. Viele Menschen sind froh, wenn sie das hinter sich haben. Die meisten haben ja einen Beruf, den sie sich mit 17 nicht gewünscht hatten. Ich habe als junger Mensch am Broadway hinter den Bühnentüren gestanden. Ich war unbeschreiblich glücklich und habe mir gesagt, irgendwann mache ich auch Musik, die Menschen glücklich macht. Und ich habe dieses Traumziel erreicht. Das ist wie auf den Mount Everest zu steigen, in meiner Art des Bergsteigens.

Gibt es gar nichts, das Sie am Älterwerden stört?

Die Verkürzung des vor einem liegenden Weges. Es wird einem irgendwann bewusst, dass jeder Tag eine Verkürzung ist. Man sieht links und rechts im Freundeskreis, die schweren Erkrankungen, die mit dem Alter begünstigt werden. Schon eine Grippe ist mit 80 lebensgefährlich. Man wird vorsichtiger.

Tut gar nichts weh, wenn Sie am Morgen aufwachen?

Bei mir sind es, Gott sei Dank, bisher nur Wehwehchen. Das Älterwerden ist auch eine Kopfsache. Dass man sich dem im Kopf stellt und es nicht leugnet, ist ganz wichtig. Aber wenn ich auf der Bühne stehe, ist der Unterschied zu früher nicht groß. Meine Stimme funktioniert genauso gut wie früher.

Ende Oktober beginnt Ihre 25. Konzerttournee. Singen Sie die letzte Zugabe wieder im weißen Bademantel?

Das ist eine Tradition geworden, die man auch als Marotte bezeichnen könnte. Bei meinem ersten abendfüllenden Konzert, das war damals in Hamburg, gab es eine viertel Stunde lang Sprechchöre, die nach mir verlangten. Ich habe mir in der Kabine den Bademantel übergeworfen und bin wieder auf die Bühne. Da hat mein Manager gesagt, das war toll, das behalten wir bei. Und heute ist es so, dass man von meinem Bademantel mehr spricht als von mir.

Wie viele Bademäntel haben Sie seitdem verschlissen?

Bestimmt nicht so viele, wie ich Konzerte gegeben habe, aber schon sehr viele.

Singen Sie auf Tour noch die alten Hits?

Natürlich werden die am besten für die Bühne geeigneten Lieder des neuen Albums „Mitten im Leben“ dabei sein. Und auch - wie in jedem Konzert - die großen Lieder meines Lebens. Es wäre dem Publikum nicht zuzumuten, wenn zum Beispiel „Ich war noch niemals in New York“ nicht kommen würde. Oder „Griechischer Wein“, „Aber bitte mit Sahne“, „Mit 66 Jahren“, „Ein ehrenwertes Haus“. Viele Lieder sind Evergreens. Das ist ein unglaubliches Glück für mich, dass ich immer wieder den Puls der Zeit getroffen habe.

Da Ihre Tour „Mitten im Leben“ heißt, ist sie kaum als Abschied gedacht. Was sind Ihre Pläne für die Zeit danach?

Erstmal keine neue Tournee. Ich werde in mich hineinhorchen. Ich will wieder kreativ sein. Wenn das gelingt und ich der Meinung bin, dass ich etwas Neues, Interessantes geschrieben habe, dann will ich damit auch wieder auf die Bühne. Die Frage ist, ob das dann Konzertsäle sein werden. Ich träume auch davon, mal wieder in Klubs aufzutreten. Eines ist aber sicher: Es wird nie soweit kommen, dass man mich auf die Bühne tragen muss.

Schlagzeilen haben Sie nicht nur mit Hits, sondern auch mit Frauengeschichten gemacht. Gibt es etwas zu bereuen?

Ich glaube, ich habe da nicht allzu viel falsch gemacht. Es ist die normalste Sache der Welt, dass man sich als junger Mensch des Öfteren verliebt. Und ich war vom Wesen her immer ein Strohfeuertyp, so dass ich dachte, mein Leben könne nur noch mit diesem Menschen weitergehen. Mir tun nur die leid, die all das nicht erleben. Lieber etwas zu viel Tumult, den man durch seine eigenen Fehler erlebt, als gar keinen.

Zumal die 60er und 70er Jahre wilder waren als die Gegenwart.

Die waren wesentlich wilder. Und sie waren unkontrollierter. Es gab nicht diesen erhobenen Zeigefinger. Erstaunlicherweise hat der sich vielerorts wieder mit Macht erhoben.

Was war für Sie das größte Glück im Leben?

Die Geburt meines Sohnes John. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich da nicht diesen Rausch empfunden, wie 1966, als ich den Grand Prix Eurovision gewann. Das jeweils größte Glück ging immer Hand in Hand mit meiner Musik. Das soll nicht mein Familienleben schmälern. Dass wir uns heute so nahe sind, ist ein unbezahlbarer Reichtum.

Sie genießen es, vor Tausenden Menschen aufzutreten, aber können Sie auch allein sein?

Ich kann auch das Alleinsein genießen. Aber ich habe festgestellt, dass man gute Freunde haben sollte, wenn man älter wird. Ich habe mein Leben lang Freundschaften gepflegt und davon zehre ich heute sehr.

Sie haben mehr als 1000 Lieder geschrieben. Würden Sie gern eins zurückziehen?

Ja, sicher. Ich habe Experimente gemacht, vom Klang her, von der Zusammensetzung der Musik her. Ich habe versucht, auf neuen Wellen zu schwimmen. Als die Beatles kamen, wollte man diese hochinteressante Harmonik kopieren. Immer, wenn ich sehr weit gegangen bin mit solchen Versuchen, bin ich gescheitert. Immer, wenn ich tief in mich hineingehört habe und meine eigene Art angewandt habe, dann habe ich gemerkt, dass die Sache unglaublich erfolgreich wird. Das hat mir Mut gemacht, in meinem Stil zu bleiben. Aber ich habe aus diesen Versuchen eine Menge gelernt.

Gibt es Dinge, die Sie anders machen würden, wenn Sie eine zweite Chance bekämen?

Nein, mit Sicherheit nicht. Ich weiß zwar, dass ich vieles falsch gemacht habe. Aber man lernt im Leben ja aus Nackenschlägen, aus Schicksalsschlägen, die einen fast umhauen. Dann wieder aufzustehen, weiter sein Ziel zu verfolgen, ist ein lehrreicher Prozess. Kunst ohne Demut, auch Unterhaltungskunst, ist keine Kunst.

 

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