"The Parable of the Poet" von Joel Ross: Der Glaube an Musik

Der Vibraphonist Joel Ross ist ein Perfektionist mit Ganzkörpereinsatz, der jetzt ins Poetische geht
von  Ssirus W. Pakzad
Sein ätherisches Treiben verdichtet sich zunehmend und entwickelt eine soghafte Dynamik: Joe Ross.
Sein ätherisches Treiben verdichtet sich zunehmend und entwickelt eine soghafte Dynamik: Joe Ross. © Ssirus W. Pakzad

Ein typischer Joel Ross-Moment verläuft so: Setzt der schmale Mann auf der Bühne zum Solo an, dauert es nur wenige Takte, bis er sich am Vibraphon in einen Taumel spielt. Der 27-jährige Amerikaner geht mit dem ganzen Körper in die Musik hinein, wirbelt die Schlegel mit solch unbändiger Energie über die Metallplatten seines Instruments, dass ihm alle paar Sekunden die Brille von der Nase zu rutschen droht. Dass er während seiner Eskapaden mit der Präzision und Wucht eines Drummers und dem harmonischen Knowhow eines Pianisten vorgeht, kommt nicht von ungefähr.

"Das Vibrafon stellt für mich die perfekte Balance aus meinen beiden großen Lieben dar: dem Klavier und dem Schlagzeug", sagt Joel Ross, als wir ihn vor wenigen Wochen in München treffen: "Ich habe mich immer als Schlagzeuger betrachtet, denn ich denke vornehmlich rhythmisch. Da komme ich her und so gehe ich an Musik heran. Thelonious Monk hat mal gesagt: ,Jeder in der Band ist für das Timing verantwortlich.' In diesem Sinne ist wohl auch jeder ein Schlagzeuger."

Plötzlich vermittelt Joel Ross ein ganz anderes Zeitgefühl

Mit der gerade erschienen Suite "The Parable of the Poet" vermittelt Joel Ross uns nun ein ganz anderes Zeitgefühl als das bislang von ihm gewohnte. Traumverloren treiben die mit viel Pedal gespielten ersten Vibraphontöne in den Raum hinein, bis die anderen Instrumente sich sachte dazu gesellen, um mal kurze feierliche Melodiefragmente zusammen anzustimmen und dann Geisterstimmen gleich durch das Klangbild zu irrlichtern.

Fast jedes der sieben Stücke entwickelt sich aus einer andachtsvollen fast unwirklichen, manchmal gar unheilvollen Grundstimmung heraus. Das ätherische Treiben verdichtet sich zunehmend und entwickelt eine soghafte Dynamik.

Ross konzipierte sein drittes Album für sich selbst und acht enge Freunde, darunter der Altsaxofonist Immanuel Wilkins, die Tenorsaxofonistin Maria Grand oder der Trompeter Marquis Hill. So, wie die Musik angelegt ist, dürfte der aus Chicago stammende und in Brooklyn lebende Bandleader bestenfalls ein paar Skizzen mit flüchtigen kurzen Motiven ins Studio mitgebracht und auch nur wenige Vorgaben gemacht haben.

Ross spielte bereits als Dreijähriger Schlagzeug

Das Grundvertrauen dankten ihm seine Gefährten mit beseelten, tief spirituellen Beiträgen. In jedem der sieben weihevollen Stücke dringt durch, dass Joel Ross einst in der Kirche seines Vaters, einem Chor-Leiter, musikalisch sozialisiert wurde (dort spielte er als 3-Jähriger bereits Schlagzeug). Denn der Gospel ist allgegenwärtig. "Wir dienen einem höheren Ziel. Es geht nicht um uns. Es geht um Andacht, darum Menschen zusammen zu bringen. Ich trage diese Ideologie in meine Musik mit hinein. Wenn wir musizieren, möchte ich das Publikum mitnehmen an einen bestimmten Ort und in einen bestimmten Geisteszustand", meint Ross.

Was hat es mit den im Titel seines Albums genannten Parabeln auf sich? "Was ich gerade versuche, ist, meiner Band zu vermitteln, wie sie mit mir zusammen Geschichten erzählen kann, die ohne Worte auskommen, Geschichten, auf die sich jeder seinen eigenen Reim machen kann, die jeder für sich deuten soll."

"The Parable of the Poet" bringt Ross auf ein neues Level

Mit "The Parable of the Poet" erreicht die erstaunliche Karriere des Joel Ross, der gerade erst seinen Abschluss an der Manhattan School of Music machte, ein neues Level. Es zeigt den von vielen Jazzgrößen (Wynton Marsalis, Herbie Hancock, Christian McBride) als Mitspieler begehrten und mehrfach prämierten Musiker (Deutscher Jazzpreis) nicht nur als den herausragenden Jazz-Vibrafonisten seiner Generation, sondern auch als klugen Vordenker, als Mann mit untrüglichem Instinkt.

Joel Ross: "The Parable of the Poet" (Blue Note/ Universal)

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