"The Florence Foster Jenkins Story" von Ralf Pleger

Die Platte „The Glory (????) of the Human Voice“ genießt unter Opernfans einen gewissen Kultstatus: Eine unfähige, von ihrer Kunstfertigkeit aber höchst eingenommene Sopranistin singt in scheußlichster Weise schwierigste Nummern, darunter „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“, die große Koloraturarie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“.
Dem seltsamen Leben dieser Sängerin widmen sich derzeit zwei Filme. „Florence Foster Jenkins“ mit Meryl Streep und Hugh Grant läuft am 24. November an, heute kommt „The Florence Foster Jenkins Story“ in die Kinos. In Ralf Plegers Dokumentarfilm verkörpert die amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato die amerikanische Millionenerbin. In den Spielszenen bezirzt sie mit Likör einen neugierigen Journalisten und singt, von nackten Herren umräkelt, in fantastischen Kostümen diverse Arien – auch solche, die Foster Jenkins nie gesungen hat.
Plegers Film spürt dem Mythos nach: Ein Provinzhistoriker erzählt ihre Frühgeschichte als klavierspielendes Wunderkind, das sogar den US-Präsidenten unterhalten durfte. Ihr erster Mann steckte sie möglicherweise mit Syphilis an, was dazu geführt haben mag, dass sie ihren unfreiwillig komischen Gesang mit dem inneren Ohr als korrekt wahrnahm. Sicher scheint: Florence Foster Jenkins lebte von ihrem Erbe, gründete einen Verdi-Club und gab einen alljährlichen Liederabend im Hotel Ritz-Carlton, bei dem sie exzentrische Kostüme trug. Im gesetzten Alter von 74 wagte sie 1944 den Sprung in die Carnegie Hall. Die vernichtenden Kritiken sollen zu ihrem Tod im gleichen Jahr beigetragen haben.
War die Frau etwa eine frühe Feministin? Was hat es mit ihrer merkwürdigen (möglicherweise platonischen) Ehe mit einem britischen Schauspieler auf sich? Lebte sie nur ihren Traum? Hat der Mythos Florence Foster Jenkins womöglich eine ziemlich traurige Realität überwuchert?
Den posthumen Ruhm der Sängerin verfestigte die ausgeprägte Liebe zum unfreiwillig komischen Kitsch in der amerikanischen Subkultur der 1960er Jahre. Susan Sontags legendärer „Essay on Camp“ liefert dafür das analytische Besteck, zu dem auch die Experten dieser Dokumentation gerne greifen.
Man kann es sophisticated finden, dass der Operettenexperte Kevin Clarke zwar im Schwulen Museum Berlin steht, aber nie darüber redet oder reden darf, dass die größten Fans dieser Diva des Camp in der homosexuellen Szene zu finden sind.
Das ist verklemmt. Und da passt es, dass Clarke versehentlich unserem König Ludwig II. eine Syphilis andichtet, damit nur ja nicht das schlimme Wort fällt. Wir in Bayern sind da schon weiter als ein auf den prüden Markt schielender Film. Die Syphilis hatte sein Bruder Otto. Der Wagnerianer und Märchenkönig war schwul. Und das ist gut so. Sonst hätten wir die Schlösser nicht.
R: Ralf Pleger (D 2016, 93 Min.), Kinos: Atelier, Kino Solln