Textor: Vom Leben in kleinen Städten

„Schwarz Gold Blau“: Textors Suche nach einem Sound, der nach dem HipHop kommt
von  Christian Jooß

„Schwarz Gold Blau“: Textors Suche nach einem Sound, der nach dem HipHop kommt.

Erinnert ihr euch? Wie wir damals an der Araltankstelle ein Sixpack kauften, um dann im Auto auf der B19 vorzuglühen. Das Ziel: die Großraumdiscothek Lift Off. „Schwarz Gold Blau“ heißt das neue Soloalbum und Wort-Sound-Werk von Textor, das jetzt beim Münchner Label Trikont erschienen ist.

Bis vor wenigen Jahren war Henrik von Holtum Teil von Kinderzimmer Productions, einer Ulmer HipHop-Crew, die ab 1994 als intellektuelle Kreativzelle der deutschen Szene gelobt wurde. Eine euphorische Gründerstimmung war das damals: „Der Traum wäre gewesen, das Regionale zu überwinden und in etwas Internationalem aufzugehen.“

Nach Public Enemy sei jedem klar gewesen, dass die sprachlichen Fähigkeiten für englische Texte nicht ausreichen. Und plötzlich konnte man in deutscher Sprache die Westernhagens und Grönemeyers, die es unbedingt zu vermeiden galt, überwinden. Problem nur: Mit Deutsch kann man keinen Amerikaner beeindrucken. Folge war Henriks Meinung nach die Abschottung durch Regionalisierung.

„HipHop hat sich in den letzten zehn Jahren an die Wand gesetzt.“ Textors ursprüngliche HipHop-Vorstellung sei gewesen, sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf herauszuholen. Der Ghettostyle allerdings habe sich „mit voller Wucht wieder reingeschraubt“. Das Einschussloch als Kapital, das war „der größte Fehler, der je passiert ist“.

Kinderzimmer Productions machen Pause und sind immer noch befreundet. Und Henrik sucht nach neuen Wegen. „Wie sollen wir das Kind nennen“, fragt er sich. Irgendwo zwischen HipHop, Post-HipHop, Kunstlied und Song sei ein Fadenkreuz, und das habe noch keinen Namen.

Seine Stücke hat der ausgebildete Kontrabassist ausarrangiert, so dass man problemlos ein Orchester anfragen – oder eben auch in kleiner Bandbesetzung spielen kann. Die ungewöhnlichste Idee findet sich bei einem Lied wie „In der Nacht“. Der deutsch-jüdische Revuesong der 20er und 30er ist hier Inspiration. Die Zerstörung dieser Kultur war, sagt Textor, „kulturelle Selbstvernichtung“.

Die Amerikaner haben mit Künstlern wie Tom Waits oder auch Marilyn Manson das Potenzial dieser Tradition schon viel früher entdeckt. Heimat, Herkunft, Tradition: schwierige Begriffe in Nachkriegsdeutschland. Im amerikanischen Vergleich fällt Henrik Elton Johns und Leon Russells Platte „The Union“ ein, mit ihren Bezügen zum Bürgerkrieg.

Songs über den Bürgerkrieg aus Südstaatenperspektive, man müsse sich das einfach mal übertragen auf Deutschland und seine Geschichte vorstellen. Undenkbar. In Amerika ist das anders: „Ich bin mir ganz sicher, dass ein Teil des amerikanischen Mythos’ und des Verhältnisses zueinander in dieser Geschichte drinsteckt.“

Henrik hat als Versuch beispielsweise „Neu Ulm“ anzubieten. Eine Ode an Städte, die man normalerweise nur als Beschilderung der Autobahnausfahrten wahrnimmt. Es ist ein krasser Bruch mit jedem Coolnessgebot. Aber es gibt gedankliche Verbindungen zu einem Tocotronic-Song wie „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“. Textor wollte es einfach mal eins zu eins erzählen, ohne ironische Brechung. Da ist keine Heimattümelei, aber ein Ernstnehmen der Erinnerung. So war es, das Leben in der Provinz.

Orangehouse (Feierwerk), Hansastr. 39-41, Sonntag, 17. März, 20.30 Uhr

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.