Symphonieorchester mit litauischer Dirigentin: Im Zentrum verwischt

Die litauische Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla debütiert beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Mozart, Beethoven und Weinberg.
von  Michael Bastian Weiß
Auf der Bühne des Herkulessaals: Mirga Grazinyte-Tyla. Am Flügel: Francesco Piemontesi.
Auf der Bühne des Herkulessaals: Mirga Grazinyte-Tyla. Am Flügel: Francesco Piemontesi. © Astrid Ackermann

München - Die Gesichter von Orchestermusikern sind schwer zu lesen - die Konzentration! Gleichwohl scheint beim Debütkonzert von Mirga Grazinyte-Tyla in den Reihen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks ein wenig Ratlosigkeit sichtbar. Mag das noch den Kameraperspektiven des Live-Streams aus dem Herkulessaal geschuldet sein, ist die Unsicherheit doch auch zu hören, je länger die Symphonie Nr. 2 für Streichorchester von Mieczyslaw Weinberg dauert.

Debütiert mit dem Symphonieorchester: Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla

Die in Vilnius geborene Dirigentin, die mit diesem Konzert den Auftakt zum Litauischen Kulturjahr in Bayern macht, strahlt mit ihrem hellwachen Blick enorme Präsenz aus. Dazu beweisen die BR-Streicher bei diesem bislang noch praktisch unbekannten Werk von 1946 ihre rasche Auffassungsgabe. Mirga Grazinyte-Tyla begleitet ein organisches Wachsen dieser Musik und konzentriert sich dabei auf deren Ausdruck. Mit ihren mal fließenden, mal schneidigen Bewegungen treibt sie das Orchester an, gibt Einsätze zu emotional involvierten Soli, behält die Fäden also zumeist in der Hand.

Bisweilen jedoch gibt sie ihren Gesten Schnörkel oder spontane Zuckungen mit, die so kurzfristig kommen, dass die Musiker darauf nicht mehr reagieren können. Das erklärt manche Irritationen, die zu verwischten Melodielinien, streuenden Pizzicati, überhaupt einigen Wacklern führen. Punktgenauer erklingt dann Beethovens dritte "Leonoren"-Ouvertüre.

Keine Fragezeichen auf den Gesichtern der Musiker

Dass sich die Dirigentin für das Klavierkonzert Nr. 27 B-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart direkt in die Mitte des Symphonieorchesters begibt, war laut ihrer Aussage der Vorschlag des Solisten Francesco Piemontesi. Er versprach sich davon ein direkteres Kommunizieren aller. Wiederholte kleine Schnitzer in den Streichern, mindestens einmal auch in den Holzbläsern, legen nahe, dass das keine gute Idee war.

Der Schweizer Pianist gewinnt dem Steinway einen brillanten Klang ab, indem er mit perkussivem Anschlag das rhythmische Moment schärft und im gerne verkitschten Finale sogar einen versteckten Marsch entdeckt. Gerade seine artikulatorische Plastizität jedoch lässt umso deutlicher hervortreten, dass auch die Koordination mit dem Klavier nicht sorgenfrei ist. In Zeiten, in denen die Spieler in pandemiekonform weiten Abständen sitzen und sich deshalb schlechter hören, muss der Takt besonders eindeutig vorgegeben werden. Dann zeichnen sich auf den Gesichtern der Musikerinnen und Musiker auch keine Fragezeichen mehr ab.


Anzuschauen im Stream unter www.br-klassik.de. CD: Mirga Grazinyte-Tyla: Weinbergs Symphonie Nr. 2 & 21, Deutsche Grammophon.

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