Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks: Die prachtvolle Totale

Marie Jacquot debütiert beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal.
von  Michael Bastian Weiß
Marie Jacquot mit Gautier Capuçon im Herkulessaal.
Marie Jacquot mit Gautier Capuçon im Herkulessaal. © Astrid Ackermann/BR

Bei einem Debüt kann viel schiefgehen. Eine gewisse Vorsicht ist da verständlich. In der ersten Hälfte ihres ersten Programms mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks macht Marie Jacquot nichts falsch, aber auch nichts besonders richtig. Ihr Handwerk – durchaus nicht selbstverständlich - ist souverän, sie gibt alle Einsätze, ihre Bewegungen sind präzise und organisch, lassen nur einen markanten Schlag vermissen.

Im Einspielstück "The Turn of the Tide" des Schotten David Horne – viel gesichtsloses Material, viel Leerlauf - kann sie nicht viel mehr tun, als das Zusammenspiel zu organisieren. Dem Solisten Gautier Capuçon folgt sie im Cellokonzert von Edward Elgar aufmerksam, aber eigene Akzente fehlen.

Marie Jacquot  zieht sich nicht aus der Affäre

Alles ändert sich im zweiten Teil. Mit der Symphonie Nr. 2 in f-moll von Richard Strauss bietet sich Marie Jacquot die Gelegenheit, eindeutig Partei zu ergreifen. Leicht wäre es, diese Arbeit eines 19-Jährigen verständnisvoll wegzulächeln. Selbst eingefleischte Straussianer werden einräumen, dass der Komponist hier noch vieles ausprobiert, was er schon wenig später verabschiedet: zum Beispiel, sich an eine Konvention zu halten.

Marie Jacquot aber zieht sich nicht aus der Affäre. Der hochkonzentrierte Gesichtsausdruck der Pariserin signalisiert: Wir nehmen den Ehrgeiz des Komponisten ernst, auch, wenn er zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig war.

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks macht hörbar überzeugt mit und baut eine prachtvolle Totale auf: vom satten Fundament der Bässe über eine messingglänzende Mitte bis hin zu brillanten hohen Holzbläsern. Ein unschätzbarer Vorteil ist, dass sich, wie zu Straussens Zeiten, die ersten und zweiten Geigen auf der Bühne des Herkulessaals gegenübersitzen und somit ihr Wechselspiel räumlich erfahrbar wird.

Gautier Capuçon übt einen enormen Druck auf die Saiten aus

Marie Jacquot kann ein Tempo halten, auch ein breites, bereitet Höhepunkte weitsichtig vor, versteht den Sinn der harmonischen Fortschreitungen. Das Kunststück gelingt: In dieser exzellenten Realisierung tritt das schülerhafte Moment in den Hintergrund zugunsten der Einfälle, die auf den späteren Feuerkopf hindeuten.

Da kann es dem Debüt der Dirigentin nichts mehr von seinem Erfolg nehmen, wenn das Cellokonzert vor der Pause dem Solisten fast allein gehört. Gautier Capuçon übt einen enormen Druck auf die Saiten aus, versetzt Linien, die bei anderen artig verblassen, unter elektrische Hochspannung, kurz: spielt mit kompromissloser Emotionalität. Das ist für Edward Elgars Noblesse fast schon zu viel - und darum genau richtig.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.