Sternstunden der Popgeschichte: Die Doku "Beatles '64"
Die britische Invasion in die USA konnte nur stattfinden, weil die Briten die Wehrpflicht abgeschafft hatten: Das ist die schöne Schlusspointe der famosen neuen Doku "Beatles '64", formuliert hat sie John Lennon. Wären er, Paul, George und Ringo Anfang eingezogen worden, hätte es keine Beatles gegeben. Doch seit 1960 gab es keine Wehrpflicht mehr, und so landeten die vier jungen Engländer am 7. Februar 1964 auf dem New Yorker Flughafen und eroberten im Handstreich ein ganzes Land. Zumindest die Teenager, jungen Leute und Musikfans ergaben sich euphorisch und geschlossen der Beatlemania.
Im Hotel mit den Fab Four
In der Doku von Produzent Martin Scorsese und Regisseur David Tedeschi können die Zuschauer diese Invasion auf völlig neue, verblüffende Weise nacherleben. Der Filmemacher konnte seltene Aufnahmen der Dokumentarfilmer Albert und David Maysles nutzen, die die Beatles bei ihrem ersten USA-Aufenthalt begleiteten. Peter Jacksons Firma Park Road Post restaurierte diese Aufnahmen - wie zuvor schon die "Get Back"-Sessions - in gestochen scharfer 4K-Qualität, und das hat eine gewaltige Wirkung: Der Zuschauer fühlt sich wie mittendrin im Hotelzimmer der Fab Four.
Die sind fröhlich, freundschaftlich und begeistert, im Land ihrer Träume und musikalischen Vorbilder und Freunde zu sein: Sie gehen aus mit Ronnie Spector und den Ronettes, bekommen ein Willkommens-Telegramm von Elvis Presley, George Harrison imitiert im Hotelzimmer Bob Dylans Talking-Blues-Stil - und die Kamera fängt all das aus der Nähe ein. Aber sie blickt auch aus dem ruhigen Auge des Hurrikans nach außen, wo Mädchen-Horden atemlos durch die Straßen rennen, immer dorthin, wo sie die Beatles vermuten.
Eine Gesellschaft in Schockstarre
Der Film lebt aber nicht nur von der Wucht dieser Bilder, sondern ordnet diesen in seiner Bedeutung unübertroffenen Moment der Popgeschichte klug ein. Und zwar aus drei Perspektiven. Der Film schildert die Wirkung dieser zwei Wochen auf die Beatles, auf ihre Fans und auf die US-amerikanische Gesellschaft. Die befindet sich noch in Schockstarre nach der Ermordung John F. Kennedys im November 1963. Mit ihm beginnt der Film, mit seinen Worten über eine strahlende, freiere, hoffnungsvolle Zukunft. Die verhallten mit dem Attentat von Dallas, große Teile des Landes fielen in eine düstere Stimmung, doch zweieinhalb Monate später flogen vier gutgelaunte, lebenslustige junge Briten ins Land und zogen die Aufmerksamkeit auf sich. Der Film zeigt überzeugend, wie wichtig die positive Energie der Band für ihren frühen, nie dagewesenen Erfolg war - und wie gut sie dem trauernden Land tat.
Für viele Fans hatte das lebensprägende Wirkung. Zu Wort kommen unter anderem Regisseur David Lynch, Produzent Jack Douglas oder Jamie Bernstein, die Tochter des großen Leonard: Sie bleibt noch heute vor Ergriffenheit stehen, wenn sie in einem Kaufhaus eine Beatles-Melodie hört. Am 9. Februar 1964 brachte sie ihren Vater dazu, gegen alle Gewohnheit beim Familien-Dinner die Ed Sullivan Show einzuschalten. So wie - Rekord! - 73 Millionen andere Zuschauer. Leonard Bernstein erkannte sofort, dass es sich um einen bedeutenden kulturellen Moment handele. Ganz anders Paul McCartney: Als ein Reporter ihn nach der langfristigen kulturellen Bedeutung der Band fragt, muss er lachen. Er genießt damals einfach den Erfolg und die Musik in vollen Zügen. Spürbar wird das in jeder einzelnen Konzertaufnahme, zum Beispiel bei einer phänomenalen Version von Little Richards "Long Tall Sally".
Ein Moment, der alles verändert
Wie die Musik der Beatles mit ihrer Musik die Rassenschranken unterliefen, wird in der Doku schlau verhandelt, ebenso ihre Wirkung als Männer, die ihre Maskulinität und Sexualität - anders als Elvis - nicht zur Schau stellten. Und auch die damaligen Grenzen der Bewunderung werden sichtbar, was rückblickend lustig wirkt: Da bezeichnen Erwachsene die Beatles als Krankheit, die wie die Masern über die USA gekommen sei, und bei einem Empfang in der britischen Botschaft in Washington behandeln deren Mitarbeiter die Beatles extrem herablassend. Für ihn sei das nicht weiter schlimm gewesen, sagt Paul McCartney rückblickend: Als Kind der Arbeiterklasse sei er nichts anderes gewöhnt gewesen.
Nur eine besonders wichtige Wirkung der USA-Reise blendet der Film völlig aus: Zahllose US-Rockstars und Musiker der nächsten Generation, von Tom Petty bis Billy Joel, erkannten die Bestimmung ihres Lebens in ein- und demselben Moment: als sie die Beatles am Abend des 9. Februar 1964 in der Ed Sullivan Show erlebten. "Man spürte einfach", sagte Petty mal, "dass sich in diesem Moment alles veränderte."
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