Stadtcasino Basel: Wenn Schweizer träumen

Was für ein Bau, was für eine Akustik - das von den Architekten Herzog & de Meuron renovierte Stadtcasino gibt dem Musikstandort Basel mächtig Auftrieb. Und die hohen Besucherzahlen machen richtig neidisch.
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Herzog & De Meuron haben die alte Fassade des Basler Stadtcasinos zur Barfüßerkiche hin einfach dupliziert. Dahinter ist nun Platz für ein fulminantes Foyer, das an die Belle Époque erinnert.
Roman Weyeneth 3 Herzog & De Meuron haben die alte Fassade des Basler Stadtcasinos zur Barfüßerkiche hin einfach dupliziert. Dahinter ist nun Platz für ein fulminantes Foyer, das an die Belle Époque erinnert.
In den neuen Foyers gibt es auch schöne Rückzugsmöglichkeiten und Plaudernischen wie hier im ersten Stock. Fotos (3): Roman Weyeneth
Roman Weyeneth 3 In den neuen Foyers gibt es auch schöne Rückzugsmöglichkeiten und Plaudernischen wie hier im ersten Stock. Fotos (3): Roman Weyeneth
Ganz behutsam wurde der Basler Konzertsaal saniert. Und nun dringt wieder Tageslicht in den Raum, dessen Akustik seit der Eröffnung 1876 euphorisch gepriesen wird.
Roman Weyeneth 3 Ganz behutsam wurde der Basler Konzertsaal saniert. Und nun dringt wieder Tageslicht in den Raum, dessen Akustik seit der Eröffnung 1876 euphorisch gepriesen wird.

Was für ein Bau, was für eine Akustik - das von den Architekten
Herzog & de Meuron renovierte Stadtcasino gibt dem Musikstandort Basel mächtig Auftrieb. Und die hohen Besucherzahlen machen richtig neidisch

Wenn Schweizer träumen

Tradition muss schon sein in der Schweiz. Also dürfen acht Alphörner das Stadtcasino Basel eröffnen und mit ihren tiefen Tönen den frisch renovierten Konzertsaal einnehmen. "Einkreisung" heißt passenderweise das Auftragswerk der Basler Komponistin Helena Winkelman, und man ist verblüfft, wie unverkrampft sich das Bodenständige neu kombinieren und arrangieren lässt und wie herrlich unkonventionell dieser Auftakt die immer schon viel gepriesene Akustik vorführt.

Wer sich in der Grenzstadt am Rheinknie ein bisschen umschaut, trifft ständig auf das unangestrengte Zusammenspiel von Alt und Neu. Von Frank Gehry bis Tadao Ando und Renzo Piano haben zwölf Pritzker-Preisträger in Basel und seinen Vororten gebaut, und für Architekturfreaks ist die Region ein Dorado. Von den Sammlern und Museumsleuten ganz zu schweigen, die - wenn nicht gerade Covid 19 wütet - alljährlich aus der ganzen Welt auf die Art Basel rauschen.


Man hat hier erst einmal keine Scheu vor modernen, zukunftsweisenden Formen. Deshalb war es zunächst die 2016 verstorbene Architektin Zaha Hadid, die den nicht immer glücklich erweiterten Stadtcasino-Komplex ins 21. Jahrhundert katapultieren sollte. Hadids provokative Beton-Glas-Stahl-Wucht im Herzen der Altstadt ging den Bürgern dann aber doch zu weit. Und nachdem das Projekt 2007 basisdemonratisch an den Wahlurnen gescheitert war, kamen die ausnahmsweise mal zweitplatzierten Jacques Herzog und Pierre de Meuron erneut ins Rennen. Zwei Ur-Baseler, die das historisch gewachsene Zentrum respektieren können und nicht überall auf Teufel komm raus mit einem weithin sichtbaren, eigensinnigen Signalbau auftrumpfen müssen wie etwa mit der Elbphilharmonie in Hamburg, der Münchner Allianz Arena oder mit dem gläsernen Wolkenkratzer "Tour Triangle" in Paris.

Zumal die Sanierung eines denkmalgeschützten Gebäudes Grenzen vorgibt. Aber Einschränkungen sind bekanntlich dazu angetan, eine oft genug originelle Form der Fantasie freizusetzen. Das beginnt schon mit der duplizierten Fassade des Altbaus hin zum Historischen Museum in der Barfüßerkirche - mit einer Holzverschalung und nicht aus Stein, wie man beim ersten Blick meinen möchte.

Insofern fügt sich die neobarocke Fake-Front wieder ins Ambiente und avanciert sogar zum eleganten und zugleich vertrauten Vermittler zwischen Kirche, Kunsthalle und Theater samt seinem viel fotografierten Tinguely-Brunnen.

Private Mäzene
lassen sich in Basel nicht lange bitten

Was sich aber zwischen der neuen und der alten Außenhaut auftut, ist ganz große Oper. Intensives Bordeauxrot dominiert das neue Foyer, mächtige Lüster, Spiegel und mattierte Schlagmetallflächen sorgen für flirrenden Glanz. Und schon fühlt man sich in die überbordenden Raumfolgen der Belle Époque zurückversetzt. Kleine Rückzugsnischen tun ein Übriges. Wobei die Architekten der 1876, kurz vor dem Stadtcasino eröffneten Pariser Opéra Garnier Tribut zollen: Deren originale Brokattapete wurde von der Manufacture Perelle in Lyon extra für Basel wieder aufgelegt.

Und im fulminant geschwungenen Treppenhaus wird ein weiteres Mal die Theatralik des Fin de Siècle bemüht. Mehr kann man dem Publikum kaum bieten, um sich neben dem Musikereignis selbst zu inszenieren, um zu sehen und gesehen zu werden.


Dafür musste man in der 200 000-Einwohner-Stadt dann auch etwas tiefer in die Tasche greifen. Von den 77,5 Millionen Franken - das sind etwa 72 Millionen Euro - hat die private Casino-Gesellschaft knapp die Hälfte übernommen. Die in Basel traditionell spendablen Mäzene gaben 39 Millionen Franken. Und das Budget wurde eingehalten, für Schnickschnack ist man in der Schweiz nicht zu haben. Lieber wird gezielt in die wichtigen Details investiert, und die gelten eindeutig dem Hörerlebnis. Das war von Anfang außergewöhnlich, der von Johann Jakob Stehlin geplante Saalkubus verfolgt wie seine Vorgänger im Leipziger Gewandhaus und im Wiener Musikverein das Schuhschachtelprinzip. Grosso modo liegt man damit meistens gut in der Tonspur.

In Basel musste man allerdings das Gerumpel der Trambahnen in Kauf nehmen, selbst das Zumauern der Fenster in den 60er Jahren konnten die Störung nicht verhindern. Alles vorbei. Wenn das Sinfonieorchester Basel von seinem Chefdirigenten Ivor Bolton mit einiger Emphase durch Dvoráks Neunte "Aus der Neuen Welt" gelenkt wird, braucht man das Largo nicht zu fürchten.

Kein Bremsquietscher kann den Flöten etwas anhaben und noch nicht einmal der betörend zarten Melancholie, mit der das Englischhorn zur Totenklage anhebt. Durch eigens für das Casino entwickelte Spezialfenster - rund 90 000 Euro kostet ein Exemplar - bleibt der Straßenlärm tatsächlich draußen, und Tageslicht strömt wieder in den Saal.


Wobei die Akustik in der Zusammenarbeit mit dem Münchner Spezialisten Karlheinz Müller noch einen Tick verbessert werden konnte. Der Holzboden ist schwebend aufgehängt, darunter zirkuliert frische Quellluft, die geräuschlos unter den Sitzen zugeführt wird. Nichts lenkt ab von der Musik, der Klang mischt sich, und zugleich sind Bläser und Streichergruppen im Einzelnen auszumachen.

Intensives Ausprobieren und geduldiges Feintuning wird nun gefragt sein. Und man spürt die Lust der Sinfoniker, die über vier Jahre auf diesen Saal gewartet haben - und ihn sich mit weiteren renommierten Ensembles wie dem La Cetra Barockorchester oder dem Kammerorchester Basel teilen.

Mehr als zwei Drittel des Saals sind besetzt - mit Maskenträgern

Das wirklich Schöne und aus deutscher Sicht geradezu Spektakuläre an dieser Wiedereröffnung sind freilich die Besucherzahlen. Dicht gefüllt war der Saal bei sämtlichen Konzerten der Auftaktwoche, von den 1400 Plätzen durften 1000 besetzt werden - bei einer generellen Maskenpflicht. Und wenn die neuerlich auch in der Schweiz ansteigenden Corona-Fälle keinen Strich durch die Rechnung machen, wird das so bleiben.

Basel ist übrigens kein Sonderfall. Ins Opernhaus Zürich mit seinen 1200 Plätzen dürfen 900 Besucher, das Theater Bern ist mit 700 erlaubten Personen bereits voll besetzt, in der Tonhalle Zürich sind es von gut 1200 Plätzen 460, die im Schachbrettmuster eingenommen werden können.


Auf der anderen Seite wird peinlich genau auf Sicherheit geachtet. In der größten Premierenhektik mussten die Musiker alle paar Tage zum Test ins Labor. "No problem", sagt Ivor Bolton, der neben regelmäßigen Einsätzen in Salzburg und München auch noch Chefdirigent am Teatro Real in Madrid ist. "Das nimmt den Druck, und wir können in Basel so frei für unser Publikum aufspielen wie an kaum einem anderen Ort". Jetzt nicht neidisch zu werden, ist fast unmöglich.

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