Springsteen: Seelentröster einer Nation
Es ist das Jahr 1964. Im Autoradio der Mutter hat er „I Want To Hold Your Hand“ gehört. Im Sommer streicht er das Haus seiner Tante. Kauft sich für 18 Dollar seine erste Akustikgitarre. Ein kaum zu stimmendes Teil, gut genug für die ersten Akkorde. Er ist 14. Sein Freund Duncan erinnert sich, wie der Vater brüllt: „Ich ertrage es nicht, dieses verdammte Ding zu hören!“ Verschlossen in seine Depressionen hat Dad sich mit Bier und Zigaretten in sich zurückgezogen.
„Bruce“ von Peter Ames Carlin ist die erste autorisierte Biografie, die sich auf annährend 600 Seiten dem Leben des Mannes annähert, den sie den Boss nennen. Carlin hat Einlass bekommen zum Kreis der Freunde, Kollegen, der Familie und der Bekannten. Hat sich von Fans mit Material versorgen lassen und mit der Hauptfigur selber lange gesprochen: „Bruce Springsteen hat von Anfang an klar gestellt, dass das Einzige, was ich ihm schuldete, eine ehrliche Darstellung seines Lebens war“, schreibt er in seiner Danksagung.
Bruce selber ist es, der die Gerüchte um Missbrauch und Misshandlung durch den Vater beendet: „Es war nicht das, was er tat. Es war das, was er nicht tat“, fasst er die Beziehung zusammen. „Es war die völlige Verweigerung von Anerkennung. Es war diese Leere.“ Mit dieser Leere in Freehold/New Jersey findet sich einer nicht ab. Mit seinem Kumpel Steve Van Zandt findet er einen Gleichgesinnten zur Analyse des aktuellen Popgeschehens, mit den Castiles rockt er die Highschool und macht erste Single-Aufnahmen.
Sieben Jahre wird es dauern, bis Springsteen mit „Greetings from Asbury Park, N.J.“ sein Debüt bei Columbia gibt. Auf dem Weg liegen unter anderem die Gruppen Earth und Steel Mill. Carlin zeigt in einer Überfülle von Details einen, der seinen Weg mit einer arbeitseifrigen Hartnäckigkeit zurücklegt.
Ein Malocher, der auf der Bühne die direkte, impulsive Begeisterungskommunikation mit dem Publikum entwickelt, die ihn zum perfekten Stadionrocker macht. Dezent ist hier aber auch einer zu sehen, der Rock’n’Roll nicht naiv als ekstatisches Rundumkonzept begreift, sondern sich als Arbeitgeber und Unternehmer sieht. Die Normalität des Jungen aus der Arbeiterklasse ist durchaus auch selbst gesteuertes Image.
Und auf Tour hat die E Street Band zwei Busse. Einen, in dem Brucesche Vernunft regiert, und einen, in dem der mächtige, 2011 gestorbene Seelenfreund und Saxofonist Clarence Clemons Party macht. Drogen sind in diesem Arbeitsverhältnis streng verboten und werden mit Kündigungsdrohung bestraft. Gut für Springsteens Fitness, etwas lähmend für die gigantische Biografie, die nicht wie andere mit saftigen Absturzgeschichten aufwartet.
„Ich habe eine Menge Musik von ihm auf meinem iPod. Ich mag ihn wirklich sehr“, wird Obama 2007 sagen, als ihm Bruce unverhofft im Wahlkampf beispringt. Aus dem Jungen aus Freehold ist da der Volkssänger geworden, der nach dem 9/11-Trauma eine ganze Nation trösten will.
Peter Ames Carlin: „Bruce“ (Edel, 604 Seiten, 24.95 Euro)
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