Spielerisch-spontan in der Isarphilharmonie: Das demokratische Orchester
München - Ein Rezensent sieht Konzerten, die nach der Erkrankung des Dirigenten vom Konzertmeister am ersten Geigen-Pult aus geleitet werden, mit eher gemischten Gefühlen entgegen. Dem Chamber Orchestra of Europe gelangen eine späte Haydn-Symphonie und Beethovens "Pastorale" bei ihrem München-Gastspiel ohne jeden Abstrich.
Fazil Say: Sein harter Anschlag bewahrt ihn vor jeder Romantisierung
Das spricht nicht gegen den kurzfristig ausgefallenen Robin Ticciati, sondern für die von ihm geleistete Probenarbeit - und das Selbstbewusstsein dieses selbst verwalteten Orchesters, das durch seine Zusammenarbeit mit Claudio Abbado und Nikolaus Harnoncourt bekannt wurde.
Am Anfang stand Haydns Symphonie Nr. 96, frisch und schlank im historisch informierten Stil auf modernen Instrumenten interpretiert. Dann kniete sich Fazil Say in Mozarts Klavierkonzert C-Dur KV 467 hinein. Offiziell hatte er auch die musikalische Leitung inne, faktisch dirigierte er sich mehr oder weniger nur sich selbst. Sein harter Anschlag bewahrte ihn vor jeder Romantisierung oder Verzärtelung.
Das Spielerisch-Spontane des Finales liegt im besonders, und das ist eine Stärke, weil alle Interpreten normalerweise den Schwerpunkt auf den Kopfsatz und das Andante legen. Als Groß-Zugabe spielte Say seine Komposition "Yürüyen Kösk" für Klavier und Streicher. Wie fast alle Kompositionen des Pianisten ist auch diese vertonte Atatürk-Anekdote mit höchster Energie geladen, deren Engführung aus europäischer Tradition und türkischer ein wenig an Bartók erinnert.
Alles entsteht aus einem demokratischen Geist des Zusammenhalts
Dann Beethovens Nr. 6, die Pastorale. Hier trumpften die Holzbläser des Chamber Orchestra of Europe solistisch wie als Gruppe auf. Das Orchester drängte sportlich nach vorn. Nirgendwo machte sich die bei dieser Symphonie fast unvermeidliche noble Langeweile breit. Trotz der Hochgeschwindigkeit ging die gestaltende Flexibilität nicht verloren, die vor allem bei den "frohen und dankbaren Gefühle nach dem Sturm" unerlässlich ist.
Falsche Feierlichkeit verbreitete sich nicht, eher eine säkulare Gelassenheit. Die Konzertmeisterin Stefanie Gondlon hatte formal die Leitung, aber sie gab keine Einsätze. Alles entstand aus einem demokratischen Geist des Zusammenhalts, der sehr gut in die Zeit und zu diesem Orchester passt. Als Zugabe erklang die Hymne der Ukraine - wie eine Musikerin betonte, als Geste gegenüber allen Opfern dieses Krieges.
Fazil Say spielt am 5. Oktober im Prinzregententheater Werke von Couperin, Debussy, Mozart und Beethoven, Infos und Karten unter bellarte-muenchen.de