Spider Murphy Gang: Berauscht vom Rock’n’Roll

München - Sie sind ein Kapitel Münchner Musikgeschichte und ein besonders erfolgreiches dazu. Hits wie "Schickeria", "Skandal im Sperrbezirk", "Sommer in der Stadt" sind Klassiker, aber darauf ruhen sie sich nicht aus. Die ersten vierzig Jahre Bandgeschichte hat der Autor Andreas Mäckler nun in einem Buch zusammengefasst: "Skandal" erscheint am Freitag. Der 70-Jährige Günther Sigl aus Schongau zog 1968 nach München und gründete 1977 mit Michael Busse die Spider Murphy Gang, die AZ sprach mit ihm:
AZ: Herr Sigl, Sie haben sich lange gegen so ein Buchprojekt gewehrt. Warum eigentlich?
GÜNTHER SIGL: Wir hatten schon viele Anfragen, aber ich habe immer gedacht: Wen interessiert das schon? Aber irgendwann habe ich mich doch darauf eingelassen – und es wurde dann auch interessant für uns. Andreas Mäckler hat uns alle interviewt und da sind schon eine Menge alter Erinnerungen wieder hochgekommen.
Sie haben die 40 Jahre interessanterweise auch nüchtern erlebt. Da müsste Ihre Erinnerung die genaueste sein.
Es kann schon sein, dass den anderen manche Tage und vor allem Nächte fehlen. Ich trinke ja nichts, rauche auch nicht und verfüge über keinerlei Drogenerfahrung. Aber trotzdem bin ich nicht nüchtern durchs Leben gegangen. Ich war einfach berauscht vom Rock’n’Roll. Wir hatten so viele Momente auf der Bühne, wo es einem eiskalt den Buckel runtergegangen ist. Gemeinsam Musikmachen ist einfach das Größte.
Wo haben denn die Knie mehr gewackelt, beim Auftritt im Olympiastadion, oder als Sie Chuck Berry hinter der Bühne nach seinem Münchner Konzert getroffen haben?
Barney und ich haben uns wie die kleinen Buben gefühlt, als wir ihm gegenübergestanden sind. Leider ist unser Idol ja vor ein paar Tagen gestorben. Er war einfach der Größte im Rock’n’Roll. Aber bei den Konzerten ist das schwer zu sagen, das hat auch nichts mit der Menge der Zuschauer zu tun. Wobei es schon ein Erlebnis war, als wir zum ersten Mal in der Dortmunder Westfalenhalle vor 15.000 Menschen gespielt haben.
Das war mit anderen Stars der Neuen Deutschen Welle.
Genau. Und wir hatten als eingespielte Rock’n’Roll-Band einen entscheidenden Vorteil: jahrelange Live-Erfahrung – auch wenn es nur in kleinen Clubs war. Das war auch unbezahlbar. Die anderen NDW-Stars waren teilweise Studioprojekte, die wussten live gar nicht, was sie machen sollten.
Das Buch beweist eindrücklich: Der Anfang war alles andere als leicht.
Mein Vater hat mir mit 15 Jahren eine Gitarre gekauft und eine Zeit lang hat er es ziemlich bereut. Vor allem, als ich dann später meine Stelle als Bankkaufmann hingeschmissen habe. Er konnte es nicht verstehen, wie man so eine sichere Stelle aufgeben konnte. Aber ich wollte Musik nicht als Hobby, ich wollte Rock’n’Roll als Leben. Und heute noch, wenn ich aufstehe, hänge ich nach dem Frühstück schon wieder an der Gitarre oder schreibe neue Songs.
Sie verbinden Rock’n’Roll mit einer wahnsinnigen Disziplin.
Das Wichtigste war, dass man immer was macht. Wir haben acht Stunden geübt in unserem Proberaum im Luftschutzbunker – man muss ja immer weg von den Leuten, wenn man so laut Musik macht. Wir sind durch die Ami-Clubs getingelt und haben uns die Miete zusammengespielt und das Geld für den Bandbus, in dem wir dann oft übernachtet haben. Oder wir sind nach dem Gig wieder nach Hause gekommen, wenn in München schon die Sonne aufging. Es war schön, aber auch ziemlich aufwändig. Mein Vater hat damals ausgerechnet, was wir an Zeit investieren und dann gemeint, dass wir nicht einmal auf den Stundenlohn einer Putzfrau kämen.
"Wir wollten keine Stars werden"
Sie haben trotzdem immer geglaubt, dass sie es packen können?
Das war gar nicht das Ziel. Wir wollten keine Stars werden, wir wollten einfach Musik machen. Aber ich erinnere mich noch genau, wie ich mit der U-Bahn zum Musik-Club Memoland in der Siegesstraße gefahren bin, mit dem Basskoffer in der Hand. Und dann habe ich eine Schlange vor dem Lokal gesehen. Ich bin dran vorbei und durch den Hintereingang rein – und habe die Leute tuscheln gehört: "Das ist der Sänger von der Spider Murphy Gang". Mei, war ich stolz. Die sind alle wegen uns gekommen! Das war ein ganz großer Erfolg für mich.
Im Buch heißt es auch, dass die erfolgreiche Zeit nicht unbedingt die schönste war.
Mit dem Erfolg kommen auch die Schwierigkeiten. Eine kurze heftige Zeit. Es kam ja auch zu Umbesetzungen. Ende der 80er Jahre nahmen dann die Plattenverkäufe ab, die Hallen wurden kleiner, wir mussten auch Konzerte absagen, aber wir haben trotzdem weiter gemacht. Es hat nie zur Alternative gestanden, dass wir aufhören. Und dann wurden wir - auch durch unsere Bierzelttourneen - auf einmal wieder populärer.
Wenn man so gesund lebt wie Sie, dann kann man ja auch ewig weitermachen.
Ich klopfe jetzt mal auf die Tischplatte. Ich fühle mich gut und es spricht nichts dagegen, dass wir auch noch das 50. Bandjubiläum feiern.
Auch wenn Barney jetzt nicht mehr springt.
Wir haben früher ein Trampolin dabei gehabt, von dem aus er auf die Bühne geflogen ist, während er spielte. Der hatte ja ein Talent, das ist unglaublich. Wir haben damals viel Action gemacht. Heute ist es natürlich nicht mehr so. Dafür jubelt das Publikum umso mehr, wenn wir noch ab und zu Sperenzchen machen. Und damals sind wir nach den Konzerten noch bis zum Morgengrauen um die Häuser gezogen. Das ist vorbei.
Dafür ist der Erfolg zurück. Die beiden Jubiläumskonzerte in der Olympiahalle sind fast ausverkauft. Wird es ein drittes geben?
Nein, irgendwann wird es zuviel. Wir spielen mit Kollegen aus der NDW: Geiersturzflug, Stefan Zauner von der Münchner Freiheit, der noch unsere erste inoffizielle Platte abgemischt hat, Peter Schilling ist dabei, die Brings aus Köln, natürlich unser Spezi Willy Astor und zum ersten Mal auch eine Frau: Claudia Koreck, eine wunderbare Kollegin. Ich finde es schön zu sehen, dass seit einigen Jahren auch der Dialekt in der Musik wieder so eine Renaissance hat.
"Wir wollten unbedingt in die DDR"
Was viele vergessen haben: Sie waren die erste West-Band mit richtiger DDR-Tournee.
Ja, der Udo Lindenberg hat am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik gespielt, wir waren ein paar Tage später auf einer richtigen Tour. BAP wollte auch. Aber die haben dann abgesagt, weil sie bestimmte Lieder und einen extra geschriebenen Protestsong nicht spielen durften. Wir dagegen haben keine Auflagen bekommen, aber ich habe überall unser aktuelles Stück "I wander aus" gespielt, was durch die Einschränkung der Reisefreiheit in der DDR natürlich nicht so gewährleistet war. Wir hätten organisatorisch leichter eine Tournee in Japan oder Australien machen können, aber wir wollten unbedingt in die DDR. Das war ein wirkliches Erlebnis.
Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Wir haben in kleineren Städten und Hallen gespielt, die waren dann voll mit 500 Leuten und davor standen noch einmal anderthalbtausend Menschen, die rein wollten. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wir sind uns vorgekommen wie die Beatles. Natürlich waren die Karten nur teilweise frei erhältlich, der Rest ging an verdiente Arbeiter oder Parteimitglieder. Aber wir wollten trotzdem, dass die Menschen ihren Spaß haben.
Im Buch steht auch, dass die Stasi sie damals nicht aus den Augen ließ.
Sicher, aber wir haben die auch veräppelt, wenn wir im Restaurant zum Beispiel in die Blumen am Tisch gesprochen haben: "Hallo, könnt ihr uns hören?" Später, nach der Öffnung, waren wir in einem Interhotel, das wir von damals kannten. Und die Barfrauen haben uns gesagt, dass da zwei von drei Mitarbeitern bei der Stasi gewesen sind.
Eine politische Band wurden die Spiders aber nie.
Aber ich weiß schon, was politisch los ist. Und ich sage auch meine Meinung gegen die rechten Deppen. Ich kann sie einfach nicht verstehen. Ich bin total dankbar, dass ich 1947 geboren wurde und in einem vereinten Europa leben darf – das ist ein Segen. Ich bin jetzt 70 Jahre alt und habe die ganze Zeit ein selbstbestimmtes Leben geführt in einem Rechtsstaat. Mein Vater musste noch im Zweiten Weltkrieg als Soldat gegen Europäer kämpfen. Ich bin ein großer Verfechter von Europa. Und wenn es da Probleme gibt, dann muss man halt Lösungen finden und reden. Ich freue mich sehr, dass es jetzt diese Bewegung Pulse of Europe gibt, da werde ich sicher demnächst mitdemonstrieren gegen die AfD und diese ganzen falschen Quasi-Lösungen der Populisten.
Sie haben ihre Meinung auch im Dezember bei der Demo "Wir sind alle von wo" laut kundgetan.
Ich habe große Empathie mit den Flüchtlingen. Ich bin ja aufgewachsen in einem kaputten Land und wir haben Millionen von Flüchtlingen aufgenommen. Wenn ich heute die Bilder aus Aleppo sehe, dann verstehe ich doch jeden, der seine Frau und Kinder nimmt und versucht, aus dieser Hölle zu entkommen. Die fliehen doch nicht aus Gaudi. Wir sind so privilegiert, da muss man doch einfach helfen.
Die Spider Murphy Gang feiern ihr Bandjubiläum am 28. und 29. Oktober in der Olympiahalle