So ist die neue Platte von Boy George
Boy George war mit Culture Club in den 80er Jahren eine Kultfigur, danach lange ein Drogenwrack, nun meldet er sich nach fast zwei Jahrzehnten eindrucksvoll zurück
Auf der Ölplattform Brent Spar hatten sich Greenpeace-Besetzer eingerichtet. Jacques Chirac war zum französischen Staatspräsidenten gewählt worden. Und Take That besetzten die Spitze der deutschen Single-Charts mit „Back For Good“. Mitte Mai 1995 erschien, weitgehend unbemerkt, Boy Georges letztes Soloalbum mit ausschließlich neuen, unveröffentlichten Songs.
Dann verschwand der Mann aus dem Bewusstsein in die Parallelwelt der Clubs und Dancefloors, wo man unter dem Radar der Medien Platten auflegt. Dann und wann sah man ihn auf Boulevardseiten beim Ableisten von Sozialstunden, wegen irgendwelcher Drogengeschichten, hörte von irgendwelchen Verurteilungen, die man sofort vergaß, weil Boy George eben mit den 80ern, aber nichts mehr mit unserer Zeit zu tun hatte.
„This Is What I Do“ heißt nach unendlichen Zeiten sein neues Album – mit dem der Mann mit dem kecken schief sitzenden Hut und den schönen Kajalaugen durch die Tür tritt. Die E-Gitarre läutet die Zeremonialglocke. Das Hi-Hat mahnt zischelnd zur Ruhe. Atemloser Augenblick. Break... „Put down the booze“. Er ist da. Hineingeglitten in den Song. Man nimmt ihn erst wahr, als er direkt vor einem steht. Als würde er seinem Hörer zuzwinkern, vibriert die Stimme im Ausklang des „booze“. Einen Tick kokett. Er liebt die kleine Übertreibung, weil sie genau zum privaten Lebenstheater führt. Was sagen sie denn auf der Straße so über mich, fragt uns der Boy. Ist meine Krone futsch, oder werd’ ich nochmal König sein.
Die erste Hälfte seines Katastrophenlebens hat ihn weise gemacht
Der erste Song, seine umarmende Melodie, Selbstbezichtigung, Sehnsucht nach Eitelkeit – all dies glückt ihm so selbstverständlich, dass das Album ablegt, ohne dass man zum Ufer zurückblicken würde. Da ist nur noch Boy, der einen jetzt beiseite nimmt, um das Wesen der Liebe zu erklären. Die nämlich ist größer als du und ich, der Krieg, ja sogar als Elvis – aber nicht größer als Yoko. Auch wenn das ein gelungener Pop-Gag ist: George verehrt die Ono. Und er kennt die Liebe: „It’s easy when you’re the one who stops loving first“, singt er. Eine Weisheit aus der Zen-Meditation des Soul, dessen sanfter Beatflow die Mullbinde für die verletzte Stimme ist. Al Green könnte nicht heilsamer sein.
„Death Of Samantha“ ist der einzige Song, den George nicht zusammen mit John Themis, Kevan Frost und dem Produzenten Richie Stevens geschrieben hat – ein Yoko-Ono-Cover. Boys Stimme im Leben einer Frau, deren Welt in Fetzen fliegt. Ein mitleidender Beobachter in der Zwei-Akkord-Ballade. Am Schluss seine Widmung: „Paul Starr you were a cool chick baby“. Starr war Make-up-Künstler und mit George befreundet. Er starb 2008. Dies war sein Lieblingslied.
Boy George, der bei Culture Club in den farbsatten 80ern noch als androgyn lief, während er heute natürlich schwul sein kann – diese schönste, faulste Queen hat die erste Hälfte seines Katastrophenlebens weise gemacht. In der melodiösen Einfachheit des unbestrittenen Hits der Platte, inklusive Exzess-Gitarre, „My God“, trägt er ein buddhistisches Lächeln, das Waffen schreddert. „My god is bigger than your god“ – die Fundamentalisten unseres Heimatplaneten sollen sich an ihrer Absurdität verschlucken.
Das schönste Album des noch frühen Jahres
„Any Road“ – genau so hieß die erste Nummer des letzten, nach George Harrisons Tod erschienen Albums. Boy macht sich in einem sonst in völlig anderen Sphären gleitenden Song dessen Meditationssatz zu eigen: „If you don’t know where you’re going, any road will take you there“.
Im zweiten Teil seines Albums lässt George musikalisch den westlichen Pop los. „My Star“, „Love And Danger“ und „Nice And Slow“ – das ist die britische Idee des Reggae für die Clubs. „Play Me“ liefert reggaefizierte TripHop-Trance mit Scratch-Einlagen. „Feel The Vibration“ als letzte Botschaft wird mit Oud und sirrender Langhalslaute zum Weltüberwinder.
Esoterisch? Nein, denn immer begleitet die herb-irdische Güte seiner Stimme. Wer dieses schönste Album des noch frühen Jahres übertreffen will, braucht dennoch kosmischen Beistand.
Boy George: „This Is What I Do“ (Very Me Records)