So ist das neue Album von David Bowie
Durch die Fenster des Aufnahmesaales in den Berliner Hansa Studios hatte man den Ausblick auf die Mauer, die das Land trennte. 1977. Siegfried Buback wurde ermordet, fünf Monate später Hanns Martin Schleyer. Als am 14. Oktober das Album erscheint, sitzt Deutschland vor den Fernsehgeräten und durchlebt die Entführung der „Landshut“.
„Heroes“ ist eine Platte aus kalten Zeiten, die eine Überlebenshymne in sich trug. „The Next Day“ heißt heute – nach zehn Jahren Schweigen – ein neues Album von David Bowie. Wieder produziert von Tony Visconti. Das Cover von einst wirkt durch ein mittig plaziertes weißes Quadrat, als habe man die Erinnerung an Bowies Gesicht in der Erich-Heckel-Pose gelöscht. Vorbote des kommenden Albums war der an seinem 66. Geburtstag Anfang Januar auf seiner Homepage veröffentlichte Song „Where Are We Now?“: tranquilisierte, coole Erinnerungspose.
„The Next Day“ ist anders, als der erste Moment erwarten ließ. Der Titelsong ist kranker Glam-Rock mit einer Gitarre, die mit spitzen Nägeln über Glas wetzt. Zukunft war gestern. Der nächste Tag ist bestenfalls ein weißes Quadrat. Schlimmstenfalls sieht er so aus: „Here I am, not quite dying / My body left to rot in a hollow tree.“ Zehn Jahre nach seinem Herzinfarkt auf dem Hurricane-Festival ist ein Visionär zurück, der keine Hoffnung auf ein Morgen macht. „Dirty Boys“ – in der Kombination dieses im Beat eingemauerten Saxofons und der Fuzzgitarre kann man einen verlangsamten Stooges-Song hören.
„The Stars (Are Out Tonight)“: Der Sänger spricht aus der Wolke der Streicher über Stars, die niemals schlafen und uns ansehen, die Toten wie die Lebenden. Heute sitzt ein alternder David Robert Haywood Jones selber vor dem Foto eines strahlend bisexuellen Glamwesens, dessen Nachname mal Bowie mal Sternenstaub war.
„Love ist Lost?“ Insistierend stackert der Beat auf das Ende zu, eine zähe Orgel schleppt er als Stahlkugel nach. Das Leben war mal leichter. Psychotische, rhythmisch-melodiöse Herausforderung mit Orchesterbesetzung ist „If You Can See Me“. Wie der letzte Song „Heat“ geht das schon sanft in Richtung Scott Walker, wo aus Pop längst Performancekunst geworden ist. Bowies Stimme reift hin zu einer Brüchigkeit, die in Kombination mit dem großen Timbre-Drama etwas Anrührendes bekommt.
Nein, so sichtbar die Falten sind, ist es aber das umwerfende Mutspiel dieses Albums, sich noch einmal zum verschwenderischen Fest aufzuschwingen. Und nachdem man mit Bowie den Anstieg bewältigt hat, warten auf dem Hochplateau des Glam drei Songs: „How Does The Grass Grow“ – so rockte der Wilde Westen. „(You Will) Set The World On Fire“ – die Einlösung eines Versprechens, die aus der Destruktion des Brecher-Riffs Ekstase werden lässt. Und zuletzt: „You Feel So Lonely You Could Die“ – so fühlt es sich an, auf eine leere Tanzfläche zu starren, über die noch die bunten Lichter huschen. Was für eine schöne Rückkehr.
David Bowie: „The Next Day“ (Sony Music)
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