Sir András Schiff über seinen Klavierabend
Mit keinem anderen Komponisten hat sich András Schiff so intensiv befasst wie mit Bach. Seine Musik bildet den Ausgangs- und Angelpunkt für seinen Klavierabend, mit dem der Pianist nach längerer Pause nach München zurückkehrt. Er hat die Fragen zu seinem Konzert per Mail beantwortet.
AZ: Herr Schiff, Ihr Klavierabend im Prinzregententheater bringt Bach, Béla Bartók, Leos Janácek und Robert Schumann zusammen. Was ist die Idee hinter dieser nicht ganz selbstverständlichen Zusammenstellung?
ANDRÁS SCHIFF: Dies ist das letzte Programm eines dreiteiligen Zyklus mit Werken dieser vier Komponisten, den ich schon in London, Berlin, Wien und Mailand gespielt habe und im Sommer bei den Salzburger Festspielen spielen werde.
Es handelt sich um zwei Dialoge – einerseits zwischen Bach und Bartók, dann zwischen Janácek und Schumann.
Was trennt diese Komponisten und was verbindet sie?
Es sind große Unterschiede, im Stil und in der Sprache. Damit meine ich sowohl die musikalische wie die eigentliche Sprache. Janá(c)ek und Bartók waren beide besessen davon. Janá(c)ek mit seinen Sprachmelodien – er ging immer mit einem Notizbuch herum und notierte genau, was der Gemüsehändler oder der Briefträger sagte. Bartók wiederum mit seiner Leidenschaft für die Volksmusik und seiner sprechenden Art Klavier zu spielen, was man in seinen eigenen wunderbaren Aufnahmen hören kann.
Und die Verbindungen?
Da ist das Kontrapunktische, die Kunst der Polyphonie zwischen Bach und Bartók, und die Poesie bei Janácek und Schumann. Da vergisst man gern das Klavier.
Bachs „Capriccio“ schildert die „Abreise des sehr beliebten Bruders“. Ist diese Anekdote für dieses Stück wirklich wichtig oder spielen Sie das einfach nur als Musik?
Das Programmatische bei diesem Capriccio ist keine Nebensache. Es hilft uns zum besseren Verständnis des Werkes. Dabei ist es eine absolute Ausnahme in Bachs OEuvre. Musik ist eine assoziative Kunst. Jeder Interpret und jeder Zuhörer kann dabei denken, was er will – aber innerhalb eines gewissen Rahmens. Wenn wir wissen, dass Janáceks Stücke Erinnerungen an seine Tochter Olga sind – die tragisch mit 17 Jahren gestorben ist –, verstehen wir die Trauer, die Verzweiflung hinter den Tönen besser. Robert Schumanns Klaviermusik ist so voll mit literarischen Referenzen an Jean Paul, E. T. A. Hoffmann, Friedrich Schlegel, dass man diese Musik ohne literarische Kenntnisse nicht vollkommen verstehen oder interpretieren kann.
Wenn Sie nach Bachs „Capriccio“ bulgarische Tänze von Béla Bartók spielen, geht es Ihnen da um den Gegensatz oder eine untergründige Gemeinsamkeit?
Eher um den Gegensatz. Wer hier nach Ähnlichkeiten sucht, ist fehl am Platz.
Bartók komponierte seine Sonate nach einer längeren Krise. Inwieweit ist das dem Stück anzuhören?
Das Jahr 1926 war für ihn sehr wichtig und produktiv. Aus dieser Zeit stammt auch das Klavierkonzert Nr. 1 und die Suite „Im Freien“. Das sind seine radikalsten und dissonanteste Werke – ohne Kompromisse. Trotzdem ist die Sonate auf E-Dur zentriert. Ihre Dunkelheit ist einerseits persönlich, aber auch ein Nachklang des Ersten Weltkriegs und eine Vorahnung des Zweiten. Im dritten Satz löst Bartók die Spannung dann mit einem frenetischen Volkstanz in Rondoform auf. Die Themen sind folkloristisch inspiriert, aber Bartóks eigene Erfindung.
Warum gilt diese Sonate als für den Interpreten so anspruchsvoll?
Bartók war ein großartiger Pianist, das Klavier war sein Instrument. Er versteht perfekt, wie man dafür schreibt, ganz im Gegenteil zu Janá(c)ek, der ja hauptsächlich Organist und Autodidakt war. Man muss Bartóks eigene Aufnahmen genau kennen und studieren. Sein Spiel ist nie hart und brutal. Er ist noch ein Kind des 19. Jahrhunderts und spielt mit großen Freiheiten, mit Parlando und Rubato. Trotzdem gibt es eine große innere Ordnung. Das bis heute gepflegte und oft wiederholte Cliché vom perkussiven Stil ist absolut falsch.
Zwei der Davidsbündlertänze von Schumann sind „Mit Humor“ überschrieben. Wie klingt Humor?
Mit Erwartungen und Überraschungen. Mit kurzen Tönen und komischen Akzenten. Mit sonderbaren großen Sprüngen.
Schumann ist für Sie ein großer Erneuerer der Musik. Woran kann man das bei den Davidsbündlertänzen hören?
Es sind ganz kurze, chamäleonartige Charakterstücke, die rasch aufeinander folgen. Es gibt da keine Vorbereitungen. Und doch besteht ein Plan: Es sind zwei Hefte mit je neun Stücken. Und beide Hefte schließen in C-Dur.
Sie haben sich gegen die Regierung von Viktor Orbán in Ungarn positioniert. Sehen Sie Hoffnung auf Veränderung?
Man muss optimistisch bleiben. Aber eine schnelle Änderung ist ausgeschlossen. Das Problem ist nicht nur Orbán, sondern die Menschen, die ihn großartig finden.
Prinzregententheater, Dienstag, 30. Mai, 20 Uhr, 29 bis 69 Euro, Karten unter Telefon 98 29 28 0