Simon Rattle, Krystian Zimerman und das London Symphony Orchestra
Ein warmer Sommerabend, da passt wunderbar ein Jazzpiano, slawischer Folk zum Mitwippen und ein wenig Blasmusik. Das geht bei jedem Kurkonzert und geht auch, auf höchstem Niveau, im Großen Festspielhaus von Salzburg, mit Werken von Leonard Bernstein, Antonín Dvorák und Leos Janácek.
Sir Simon Rattle hat für seine Gastspielreise zu den Europäischen Festivals eine Show zusammengestellt, das Festival-Feeling verbreitet, ohne Easy Listening zu sein, um es stilgerecht auf Englisch auszudrücken. Das London Symphony Orchestra und sein neuer Musikalischer Direktor zeigen sich damit in Edinburgh, Luzern und Salzburg. Ein zweiter Abend dieser Einstandstour ist Mahler gewidmet.
Festspiele sind Treffpunkte internationaler Künstler und Zuhörer. Das ist dann auch die inhaltliche Klammer des Programms: Darin treffen sich die Werke dreier Länder, jedes Stück ein Versuch, so etwas wie einen „typischen“ Klang ihrer Region zu erzeugen – oder als Sturm von Stilen und Ausdrücken zu entfesseln, wie es Rattle bei Bernsteins Symphonie Nr. 2 gelingt.
Der Pianist als Erzähler
Es beginnt ganz leise mit einem Klarinettengespräch aus der amerikanischen Nacht. Ein Klavier mischt sich bald in den lyrischen Prologs ein. Es gibt keinen Gesangspart, die Rolle des Erzählers übernimmt der Solist, kommentierend und protestiered, erzählend und empfindend, im Dialog oder Monolog.
Verlorene Stimmen, die über Leben und Leiden sinnieren. Wystan Hugh Audens Monumentalgedicht „The Age of Anxiety“ hat Bernstein zu diesen monolithischen Werk zwischen Symphonie und Klavierkonzert inspiriert und liefert den Untertitel. Mit Krystian Zimerman ist ein Ausnahmesolist auf der Bühne, den Klavierpart wie einen menschlichen Darsteller lebendig werden lässt, mit allen Ängsten und Einwänden, mit Abgründen und Verletzlichkeit, Zuversicht und Zartheit.
Rattle und Zimerman arbeiten gemeinsam mit dem Orchester feinste Nuancen heraus und setzen das vielgestaltige Stück unter Hochspannung. Da schwingen sich mal die Bläser auf zum fratzenhaften Kreischen, da implodiert die eben noch so dramatische Steigerung in einen winzigen Punkt, da wird bei Zimerman der Swing im Satz „The Masque“ zum trotzigen Aufbegehren. Nichts ist einfach Entertainment in diesem Werk über die Weltkriegszeit, nicht mal der Jazz.
Akribische Arbeit
Solist, Orchester und Stück haben eine lange gemeinsame Geschichte. Zimerman hat „The Age of Anxiety“ 1986 mit dem London Symphony Orchestra unter Bernstein aufgeführt. Die Queen saß im Publikum. Für das Jahr des 100. Geburtstags von Leonard Bernstein hat Zimerman das Werk noch einmal neu erarbeitet. Wieder mit den Londonern, diesmal unter Rattle, der damit einen Akzent in seiner ersten Saison als neuer Chefdirigent setzte.
Das akribische Notenstudium und die intensive Arbeit, für die Zimerman bekannt ist, haben sich gelohnt – vor allem für das Publikum, denn durch die für seine Verhältnisse zahlreichen Auftritte gab und gibt es überraschend viele Möglichkeiten, seine Deutung zu hören.
Die Richtung stimmt
Nach der Pause scheint es in Salzburg, als wäre mit Zimerman der musikalische Kristallisationspunkt von der Bühne gegangen. Dvoráks „Slawische Tänze“ kommen in wenig differenziertem Breitwandsound und wirken trotz vertrackter Rhythmen ereignisarm. Rattle gelingt es nicht, einen Spannungsbogen aufzubauen. So applaudiert ein Großteil des Publikums nach dem vorletzten Satz, bis Sir Simon abwinkt und noch betreten sagt, dass noch etwas mehr käme.
Zu Janáceks „Sinfonietta“, einem musikalischen Gruß aus dem tschechischen Brünn, haben sich Orchester und Dirigent dann wieder gefangen. Rattle präsentiert, wie oft an diesem Abend, was seine Bläser draufhaben. Besonders die Trompeten tun sich in diesem Paradestück für Blechbläser hervor, leuchtend und klar mit einer Stimme sprechend. Klarinetten und Flöten geben wie am gesamten Abend charakterstarke Soli.
Blind verlassen kann sich Sir Simon Rattle auf sein neues Orchester noch nicht. Er muss anpacken, anspornen, Hinweise geben, dranbleiben, aber er fühlt sich sichtlich wohl. Und gerade an den schwierigsten Stellen ist das Orchester hellwach und exakt auf den Punkt. „Always moving“ (immer in Bewegung) haben sie sich für die kommende Saison als Motto gegeben – die Richtung stimmt, und die ersten Zwischenziele haben die Londoner mit ihrem neuen Chef schon erreicht.
Die CD von „The Age of Anxiety“ mit Zimerman, Rattle und den Berliner Philharmonikern erscheint am Freitag bei der Deutschen Grammophon
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