Simon Rattle: Kein symphonisches Fett ansetzen!

Simon Rattle und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Strawinsky, Haydn und Brahms im Livestream.
Michael Bastian Weiß |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Simon Rattle im Herkulessaal der Residenz.
Simon Rattle im Herkulessaal der Residenz. © Astrid Ackermann

Im Jahr 2023, wenn Sir Simon Rattle nach München kommt, wird die Pandemie hoffentlich vorbei sein. Sicherlich wird es dann ein richtiges Antrittskonzert geben. Insofern war das Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, das sein designierter Chefdirigent jüngst für eine Aufzeichnung leitete, kein vorgezogener Einstand.

Aber ein willkommener Gruß an das Publikum, das einstweilen nur zuhause am Bildschirm zuschauen kann.

Simon Rattles Dirigat macht Appetit auf mehr

Wie Rattle die Musik von Igor Strawinsky dirigiert, macht Appetit auf mehr. Taktwechsel und komplizierte Metren gehen dem gelernten Schlagzeuger leicht von der Hand. Er fasst sie in den kurzen "Symphonien für Blasinstrumente" organisch auf, als naturhafte Unregelmäßigkeit, nicht als Störung.

Wenn er die vielen Zäsuren, an denen die Musik eigentlich kurz unterbrochen werden müsste, zugunsten eines fließenden Legatos übergeht, nivelliert er die Widerspenstigkeit des Komponisten zwar ein bisschen.

Doch die entspannte Art, mit der Rattle das Bläserensemble koordiniert, verschafft den exzellenten BR-Solisten auch Raum für einen runden, in verschiedenen Grautönen abschattierten Gesamtklang in sensationell reiner Intonation.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Rattle gilt als Spezialist für Joseph Haydn. Der Symphonie Nr. 90 C-Dur ist aber mit bloßer Lockerheit nicht beizukommen. Rattle müsste hier Streicher und Bläser, die auf der Bühne des Herkulessaals in großen Abständen sitzen, mit eindeutigem Schlag besser zusammenhalten; auch bei den exponierten Streichergruppen darf man nicht immer genau hinhören.

Dazu neigt Rattle zur Verniedlichung. Das Tutti, immerhin mit Pauken und Trompeten bestückt, darf nur bescheiden, ja, geduckt auftreten, über die Passagen, in denen der späte Haydn ein charakteristisches Unbehagen ausdrückt, geht Rattle verharmlosend hinweg.

Verdickte Instrumentation bei Brahms

Während das die Vorfreude auf 2023 wieder ein wenig dämpft, muss man Rattles Umgang mit der deutschen Romantik vollends als reine Geschmackssache bezeichnen. In seiner Serenade Nr. 2 hat Johannes Brahms die Violinen ausgespart, wodurch sich die Instrumentation zur Mitte hin verdickt. Rattle wäre nicht er selbst, wenn er dem symphonischen Leib gleichsam erlauben würde, Fett anzusetzen.

Stattdessen lässt er ihn entspannt seine Runden joggen: mehr fit als sinnlich. Und immer mit einem Lächeln.

Beim Verbeugen am Schluss ruft Rattle die Bläsersolisten Henrik (Wiese, Flöte) und Stefan (Schilli, Oboe) mit Vornamen auf. Freundschaftlich, entspannt, nur nicht zu tiefgründig: Auf diesen Stil werden wir uns einstellen können.

Das Konzert kann man in Kürze auf BR Klassik anhören und ansehen.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.