Sensenmänner im Jubelhemd
Es ist durchaus erstaunlich, dass auch die zeitgenössische Konzertreihe des BR-Symphonieorchesters mit einem typischen Novemberprogramm im gut besuchten Herkulessaal den christlichen Jahreszeiten huldigt. Da ist Tod und Büßen angesagt, was Johannes Kalitzkes "Zeitkapsel" als "Totentanz für großes Orchester" bereits im Titel trägt.
Und der entwickelt sich in diesem Auftragswerk der musica viva mit den naheliegendsten Mitteln. Aus trauermarschartigen Schlagzeugwirkungen entstand eine schattenhafte Pavane. Als die Hoffnung aufkam, der Komponist würde wenigstens auf das Klischee klappernder Skelette in seinem Danse macabre verzichten, hob auch schon ein Schlagzeuger die Hände und traktierte das Xylophon.
Mehr drübergestreut als in die Komposition integriert wirkten einige Tonbandzuspielungen. Nach etwa 10 Minuten schien alles gesagt und ein milde verklingendes Ende nah, doch dann setzte das Stück sehr redselig noch zu einer Art zusammenfassender Reprise an.
Viel zwingender wirkte das zweite Novemberstück, "L'Histoire du plaisir et de la désolation" von Luc Ferrari. Der 2005 verstorbene Franzose ist primär durch Tonbandmontagen realer Klänge im Stil der Musique concrète bekannt und kaum als Orchesterkomponist. Seine "Histoire" beginnt mit apokalyptisch-düsteren Schlägen. Und viel heller wird es danach nicht. In zweiten Teil werden nach Ravel oder Debussy schmeckende Zitate dekonstruiert, im dritten eine durchaus ohrwurmartige, an eine barocke Wendung erinnernde Folge zweier Töne, wobei handfest zugeschlagen wird.
Die über 40 Jahre alte "L'Histoire du plaisir et de la désolation" ist originell und farbig instrumentiert, und das Katastrophenhafte tritt stets überraschend und ohne allzugroße Erwartbarkeit ein. Ferraris Stück würde in seiner Klarheit auch Abonnenten der Normal-Reihe des BR-Symphonieorchesters nicht verschrecken, wenn es die dort auftretenden Pultvirtuosen im Repertoire hätten. Unter Kalitzkes eher nachlässiger Leitung blieb bei einigen Minimal-Verzögerungen unklar, ob sie wirklich beabsichtigt sind.
Den Kontrast zu den beiden Untergangsmusiken bildete Lisa Streichs "Jubelhemd", ein hochoriginelles Concerto grosso für Trompete, Bratsche, Harfe, Pauken und Orchester. Die Komponistin nahm die Bitte, etwas Festliches für das 250-jährige Jubiläum der Königlichen Musikakademie von Schweden auf eine sehr ironische Art ernst. Der Klang ist hell und strahlend, aber fast durchwegs leise, wie unter einem Dämpfer oder Deckel. Zwischendrin erklingen skeletthaft reduzierte Zitat-Reste, die an Märsche und Walzer von Johann Strauss erinnern.
Auch wenn das Konzertante des Stücks unterentwickelt bleibt: Man muss schon an Kagel denken, um eine ähnlich originelle Auseinandersetzung mit dem Problem der Unmöglichkeit von Hurra-Musik zu finden. Und da schauen - im direkten Vergleich - Totentänze ziemlich alt und grau aus.
In der nächsten musica viva am 23. Februar gibt es Werke von Ives, Borboudakis und Djordjević
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