Semyon Bychkov dirigiert Tschaikowsky und Schostakowitsch
In Bayern haben wir den Grant. Der verhält sich stärkemäßig zum russischen Weltschmerz wie Leichtbier zu Pfefferwodka. Wenn sich der Musikschmerzensmann Peter Tschaikowsky in seiner „Manfred“-Symphonie am monumentalen Blues des George Gordon Byron berauscht, bekommt aber selbst der hartnäckigste Grantler schnell eine Weltschmerzvergiftung.
Semyon Bychkov und die Münchner Philharmoniker gingen dem Ordinären, der Hyper-Romantik und der Tränendrüse zwar nicht direkt aus dem Weg. Aber sie schmierten das Gefühlige der „Manfred-Symphonie“ ohne grelle Plakatfarbe auf. Natürlich merkt der geübte Konzertbesucher auf, dass Tschaikowsky hier ein Update der Weltschmerzklassiker „Harold in Italien“ (ebenfalls nach Byron) von Hector Berlioz und dessen „Symphonie fantastique“ auf den Stand der Spätromantik 3.0 vornimmt. Aber das Werk birgt eigene Reize: den speziellen Weltschmerz-Sound aus Bassklarinette und Fagott etwa. Oder die seltsam verhaltene Verklärung am Ende. Und es gibt ein paar große Tschaikowsky-Momente. Die sind es wert, den „Manfred“ hin und wieder zur Prüfung vorzulegen. Der Komponist selbst hielt ihn erst für sein bestes Werk, dann wollte er die Partitur in einem Anfall von Weltschmerz bis auf den ersten Satz vernichten.
Auch Dmitri Schostakowitsch litt an der Welt an sich und dem Stalinismus im Besonderen. Im ersten Cello-Konzert schlägt seine Trübsal in einen galligen Humor um, der uns Bayern näher liegt. Leider ist Gautier Capuçon Franzose durch und durch. Dieser ohne Frage wunderbare Musiker kam mit der Grübel-Kadenz des dritten Satzes nicht wirklich zurecht. Für den Schostakowitsch-Grimm fehlt ihm die Lust am geräuschhaften Spiel. Er ist viel zu elegant für den Grant. Eine sympathische Charaktereigenschaft im Leben. Aber für diese böse Musik leider unpassend.
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