"Scrollen in Tiefsee" mit Matthias Winckhler
Es hat was von einem Update von Schuberts „Winterreise“ ins Internetzeitalter, verlegt in die schnee-freie Karibik. Ein von modernen Kommunikationstools genervter, unvermeidlich männlicher Mensch irrt verloren durch die Welt.
Irgendwo schalten Partisanen ein paar Server ab, aber widerständige Bands schaffen es trotzdem, authentische Musik ins Netz zu stellen. Und womöglich ist da auch noch ein Beziehungsproblem.
Der Münchner Komponist Christopher Verworner hat für das Hidalgo-Festival ein etwas krauses Poem des ebenfalls in den Mauern unserer Stadt wirkenden Lyrikers Tristan Marquardt in Musik gesetzt. Die Vertonung greift Gesten des romantischen Klavierlieds auf, steigert sie hell und hämmernd. Dazu gibt es Streicherklänge aus der Konserve als Klanggarnitur. Es ist Neue Musik, die mit Easy Listening kokettiert. Was aber keineswegs schadet und die Aufmerksamkeit auf den Text lenkt. Wohlfeil Schräges mit zerlegten Lauten gibt es mehr als genug.
Bastelfreude und Weltschmerz
Der Zuschauer darf sich den vertonten Text in der Black Box des Gasteig als Projektion erst einmal in Ruhe durchlesen. Dann folgt die Vertonung. Der hell timbrierte, zugleich aber über eine sonore Tiefe verfügende Bartiton Matthias Winckhler singt Verworners Musik frisch. Der Pianist Andreas Skouras begleitet klar, eine geschickte Klangregie verscheucht romantische Nebel. Auf einer die Musiker verbergenden Projektionsfläche erscheinen Bilder von Netz-Strukturen, Wüsten, dem Arnulfpark aus der Drohnenperspektive und schwimmende Quallen. Wenige Sekunden, nachdem sich der Eindruck einstellt, alles sei bereits mehrfach gesagt, ist der „Scrollen in Tiefsee“ auch zu Ende.
Bemerkenswert ist - neben Verworners Musik - vor allem Wincklers Natürlichkeit und seine unprätentiöse Gesangskunst. Als Musiktheater oder gar als „Gesamtkunstwerk“, wie das Programmheft angeberisch tönt, leidet der Abend an einem Grundwiderspruch: Der Text gibt sich nach altdeutscher Art technik- und kulturkritisch, während der Macher Tom Wilmersdörffer das Kunstlied ins technische Zeitalter hieven möchte. Die Bastelfreude junger Männer und der früh ergraute Weltschmerz reiben sich, ohne wirklich Funken zu schlagen. Der ausgezeichnete Sänger und die Grundidee eines Liederabends 2.0 sind es aber wert, sich dem Ganzen trotzdem auszusetzen.
Robert Braunmüller
Noch einmal am 20. September, 20 Uhr in der Black Box im Gasteig, Karten von 13,10 bis 54,90 Euro
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