Kritik

Schöner geht es nicht: Zubin Mehta dirigiert Brahms

Die Phiharmoniker setzen ihren Brahms-Zyklus mit der Symphonie Nr. 1 und dem Violinkonzert fort
von  Michael Bastian Weiß
Zubin Mehta und die Geigerin Lisa Batiashvili in der Isarphilharmonnie.
Zubin Mehta und die Geigerin Lisa Batiashvili in der Isarphilharmonnie. © Sebastian Widmann/mphil

Unter Musikern erzählt man sich folgende Anekdote: Ein Dirigent bittet seinen Solotrompeter in der Probe, "forte" zu spielen. Nach dem ersten Ton klopft er ab und wiederholt: "forte, bitte!". Der Bläser probiert es noch einmal, lauter, und wird wieder an das "forte" erinnert, strengt sich noch mehr an, erntet dieselbe Reaktion, das Spiel wiederholt sich noch ein paar Mal, bis der Solist schließlich resigniert: "Maestro, lauter kann ich nicht mehr". Worauf dieser antwortet: "Das brauchen Sie gar nicht, ich möchte ja nur, dass sie - forte spielen".

Zubin Mehta gibt mit dem Taktstock einen so kleinformatigen wie präzisen Impuls, und in der Isarphilharmonie heben die Münchner Philharmoniker mit den ersten Takten der Symphonie Nr. 1 c-moll von Johannes Brahms an. Der Ausdruck ist gebührend tragisch, doch wer dieses Werk in den letzten Monaten mit anderen Orchestern und Dirigenten gehört hat, wird vielleicht überrascht sein von der maßvollen Dynamik. Der Rezensent schlägt die Partitur auf und stellt erstaunt fest: Der Komponist hat zu Beginn der so monumentalen wie emotional mitnehmenden Einleitung zum Kopfsatz kein Fortissimo notiert oder gar das "So laut wie möglich", das immer gespielt wird, sondern, man ahnt es: ein bloßes "Forte".

Die Weisheit des Dirigenten

Das reicht hier auch aus, weil das Tutti für sich massiv und expressiv genug ist. Und die Philharmoniker halten Kräfte zurück, die im weiteren Verlauf nicht nur Steigerungsmöglichkeiten offenhalten, sondern atemberaubende Höhepunkte ermöglichen. Ja, die gesamte formale Anlage der Ersten von Brahms, die sich von der Düsternis zum finalen Licht durchkämpft, wird durch eine einzige interpretatorische Tat gleich zu Beginn sozusagen aufs rechte Gleis gesetzt.

Der Punkt ist, dass es einen Dirigenten von der Weisheit eines Zubin Mehta braucht, um an ein solches Detail zu erinnern und es durchzusetzen. Diese Realisation eines so allgegenwärtigen Stückes ist voll von solchen faszinierenden Details, von der orgelgleichen Geschlossenheit des philharmonischen Bläserapparates über die berückenden Soli des Horns bis hin zur artikulatorischen Selbständigkeit der zweiten Violinen. Mehta, der altersbedingt im Sitzen dirigiert, beugt sich leicht in die Richtung einer Instrumentengruppe, und die Musikerinnen und Musiker spielen um ihr Leben.

Nicht allen Geigerinnen dürfte diese Musizierhaltung, die Spannung aus der Ruhe gewinnt, so entgegenkommen wie Lisa Batiashvili. Sie hat die Leuchtkraft des Tones, um sich im Violinkonzert von Brahms zu integrieren, ohne ihre solistische Autorität aufzugeben. Selten erlebt man ein solches gegenseitiges Geben und Nehmen und gemeinsames Atmen.

Besser, richtiger, schöner geht es nicht.

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