Santtu-Matias Rouvali dirigiert Schostakowitsch
Junge finnische Dirigenten sind die heißeste Ware auf dem Klassik-Markt. Vor wenigen Wochen wurde Klaus Mäkela (28), Noch-Chef beim Orchestre de Paris und den Philharmonikern von Oslo, zum Nachfolger von Riccardo Muti beim Chicago Symphony Orchestra ernannt, das er ab 2027 neben dem Amsterdamer Concertgebouw Orkest leiten soll. Nicht ganz so schnell und steil ging es beim zehn Jahre älteren Santtu-Matias Rouvali aufwärts, der neben den Göteborger Symphonikern seit 2021 das Philharmonia Orchestra London leitet, mit dem er am Samstag in der Isarphilharmonie gastierte.
Bitte weitergehen, hier gibt's nichts zu sehen
Natürlich sind solche Gastspiele nur Momentaufnahmen. Wenn man sich aber an Mäkelas vordergründigen Lärm bei Mahlers Erster mit den Münchner Philharmonikern erinnert, wirkt Rouvalis hintergründige Ruhe bei Schostakowitsch Zehnter beträchtlich aufregender.
Diese Symphonie gruppiert ihre vier Sätze um ein brutales Scherzo in der Mitte, auf das alle Energie zustrebt und das womöglich ein Porträt Stalins darstellt. Rouvali vermied es, diese kurzen Minuten zu überhetzen und krampfhaft zu übersteuern. Paradoxerweise wirkt dieser Satz, wenn er seine Gewalttätigkeit mit maximaler Gelassenheit aufbaut, erheblich brutaler als in einem Dauer-Furioso, das sich allzu schnell abnutzt und verpufft.

Auch sonst lenkte Rouvali nach dem Prinzip "Bitte weitergehen, hier gibt's nichts zu sehen" die Aufmerksamkeit sehr geschickt auf die Details, ohne sich in ihnen zu verlieren. Im ersten Satz unterstrich Rouvali die untergründige Gewalt in den Steigerungen stählerner Dramatik, im dritten stand die Hornsolo-Romantik unvermittelt neben einer grotesken Zirkus-Lustigkeit. Und die finale Heiterkeit hatte mehr etwas von einer Bierzeltbelustigung inklusive Schlägerei, vor deren Gefahren feinere Geister lieber das Weite suchen.
Keine Übertreibung
Rouvalis Vorzug ist - neben einer klaren Schlagtechnik - der deutliche Abstand zu einer bekenntnishaften Übertreibung und den russischen Breitwand-Passionen, die Schostakowitsch-Aufführungen manchmal etwas peinlich macht. Er wurde unterstützt von exzellenten Bläser-Solisten, einem differenziert spielenden Schlagzeug und einem nie allzu dick auftragenden Blech. Und obwohl alles Vordergründige vermieden wurde, stellte sich nie eine klassizistische Blässe ein.
Auch vor der Pause stellte sich der Eindruck ein, Rouvali könnte jenseits des Hypes um Mäkela der Interessanteste der jungen Finnen sein - und das Philharmonia Orchestra das derzeit aufregendste Londoner Orchester. Denn Rudolf Buchbinder, der sich in seinem Beethoven-Zyklus der vergangenen Monate bisweilen zu einem unentschiedenen Schweifen und Grübeln neigte, wirkte plötzlich im Klavierkonzert Nr. 5 wie verwandelt: Er konzentrierte sich auf das Rauschhaft-Dionysische und zog diesen Ansatz gemeinsam mit Rouvali konsequent durch. Dabei blieb zwar im ersten Satz ein wenig das Drama auf der Strecke, aber die Konsequenz, mit der sich alle Beteiligten auf einen Aspekt konzentrierten, wirkte schlüssiger als das Mosaik früherer Abende.
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