Kritik

Santiano in der Olympiahalle München: Mit Herz und reichlich Wumms

Die Shanty-Rocker Santiano spielen vor 6.000 begeisterten Fans in der Olympiahalle.
von  Philipp Seidel
Die Santiano-Stammbesetzung minus Eins (vorne, von links): Axel Stosberg, Björn Both, Pete Sage. Zur Tour-Band gehören auch Schlagzeuger Manne Uhlig, Gitarrist Dirk Schlag und der auch Akkordeon spielende Keyboarder Arne Wiegand.
Die Santiano-Stammbesetzung minus Eins (vorne, von links): Axel Stosberg, Björn Both, Pete Sage. Zur Tour-Band gehören auch Schlagzeuger Manne Uhlig, Gitarrist Dirk Schlag und der auch Akkordeon spielende Keyboarder Arne Wiegand. © Jens Niering

München - In verzweifelter Ungeduld fangen die ersten Menschen im Publikum an, mit den Handys das schwarze Nichts zu filmen. Zu sehen ist lange, fast quälend lange nur Dunkelheit, während aus den Lautsprechern knorrig-knisternde Unterwasser-Geräusche dringen.

Santiano in München: Erkrankter Gitarrist Hinrichsen wird schmerzlich vermisst

Dann, endlich, beginnt mit dem aktuellen Titelstück "Wenn die Kälte kommt" ein Konzert, das etwas mehr als zwei Stunden lang immer mehr Fahrt aufnimmt. Und tatsächlich trat ein, was der Sänger und Percussionist Axel Stosberg vor einigen Wochen im AZ-Interview vorhersagte: Beim dritten Lied, "Salz auf unserer Haut", waren die Leute von den Sitzen aufgesprungen.

Schmerzlich vermisst man den erkrankten Gitarristen Hans-Timm "Timsen" Hinrichsen. Sein Fehlen bedeutet nicht nur den Verlust eines Großteils der Kopfbehaarung bei den Shanty-Rockern aus Schleswig-Holstein, es fehlt im Ensemble auch seine charakteristische Stimme und auf der Bühne sein dynamisches Herumwirbeln.

Publikum in der Olympiahalle folgt den Santiano-Männern begeistert durch alle Stimmungen

Die übrigen drei Stamm-Musiker Björn Both, Pete Sage und Axel Stosberg legen sich mit der Tour-Band Manne Uhlig (Schlagzeug), Dirk Schlag (Gitarre) und Arne Wiegand (Keyboard, Akkordeon) umso mehr ins Zeug (und der Tonmischer dreht die Bässe weit auf, so dass der ganze Abend reichlich Wumms hat).

Axel Stosberg wechselt immer wieder den Platz auf der Bühne, mit ihm kann man die lustige Kinderbuch-Suche "Wo ist Walter?" spielen. Und die Stücke - darunter fast das komplette Album "Wenn die Kälte kommt" - verfehlen ihre Wirkung nicht. Ob veritable Seemanns-Stampfer wie "Heave Ho", folkige Irland-Schmachter wie "Land of Green" oder das dynamische Störtebeker-Lied "Likedeeler" - die 6.000 in der Halle folgen den Santiano-Männern begeistert durch alle Stimmungen.

Beim Ohrwurm "Könnt ihr mich hören" mit dem Thema von Klaus Doldingers "Das Boot" wird das stolze Segelschiff Santiano auch mal zum U-Boot. "Wellerman", das Lied, das Nathan Evans wiederentdeckt und via TikTok rund um die Welt zum Hit gemacht hat, entfaltet eine ganz eigene Dynamik. Man kennt es halt vom stundenlangen Auf-den-Bildschirm-Starren - stark, wenn man es nun mal live auf der Bühne gespielt hört!

"Hoch im Norden" hätte auch bei vollem Haus nicht inniger klingen können

Björn Both, Sänger, Bassist und Erster unter Gleichen bei Santiano, verfällt immer wieder in einen Prediger-Ton, wenn er etwa von Santianos Engagement für den Meeresschutz spricht (die Einnahmen aus dem "Wellerman"-Erfolg gingen an die Organisation Sea Shepherd) oder vom Krieg in der Ukraine.

Ein paar immer wieder in die Ansagen grölende Torfköppe ignoriert er bald elegant. Und dankt immer wieder dem Publikum fürs Durchhalten während der Pandemie und Immer-noch-da-Sein. Und das Publikum freute sich seinerseits, dass die Band nach Absagen und Verschiebungen endlich wieder spielen konnte. Das Dankes-Lied der Band für zehn Jahre Fan-Treue kommt denn auch umgehend: "Wir für euch und ihr für uns".

Und am Ende, um kurz nach 22 Uhr und drei Zugaben, singen dann 6.000 Menschen in der Münchner Olympiahalle voller Inbrunst die Santiano-Hymne "Hoch im Norden". Auch bei einer völlig ausverkauften Halle hätte es nicht inniger klingen können. Wer die menschenverbindende und Entfernungen überwindende Wirkung von Musik am lebenden Objekt studieren will, der besuche ein Santiano-Konzert.

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