Salzburger Sängerfest
Er kommt schnellen Schritts von rechts, mit einem rot gebundenen Klavierauszug in der Hand und blickt ängstlich hinter sich. Ist Placido Domingo auf der Flucht? Nein – aber er verkörpert in dieser Aufführung einen Getriebenen: Giacomo, den Vater der Jungfrau von Orléans. Er verbirgt sich in einer schauerlichen Sturmnacht in einer Höhle, um seine Tochter zu beobachten, die er im Bunde mit der Hölle wähnt.
Vor einem halben Jahrhundert begann die außerordentliche Karriere des Spaniers, vor 40 Jahren übernahm er die Tenorrolle des Carlo VII. für eine Schallplatte. Nun singt er mit seinem gut gepflegten Bronzestimme den Giacomo. Die die paar Risse in der Patina seines Timbres verschönern nur sein eindringliches Altersporträt eines Verdi-Vaters.
Wer das in Echtzeit miterlebt, wundert sich über die Besetzung nie, weil Verdi seine Rollen für die mittlere Männerstimme in fast tenorale Höhen schraubte und Domingos schwarzrote Mittellage schon immer seine große Stärke war. Und die Musikalität dieses Sängers überspielt ohnehin alle möglichen Einwände.
Der 72-Jährige verwandelt das Konzertpodium der Salzburger Felsenreitschule in ein Theater. Domingo braucht nur ein dramatisch bewegtes Rezitativ zu singen, um der auftretenden Anna Netrebko trotz Goldkleid und überraschender Schlankheit die Schau zu stehlen.
Die Russin wagt mit der Titelpartie in Verdis früher Oper einen ersten Schritt ins dramatische Fach. In der eher lyrisch angelegten Arie „O faticida foresta“ spielt sie ihre alte Stärke aus: die beseelte Gestaltung lyrischer Linien. Aber in den robusten Duetten und den kämpferischen Rezitativen zeigt sie, dass der Wechsel wohl erwogen und zur rechten Zeit kommt.
Francesco Meli, bisher im Belcanto-Fach unterwegs, ergänzte das Dreieck des Kraftgesangs dieser „Giovanna d’Arco“. Der junge Genuese verfügt über eine helle, schlank timbrierte Stimme nach dem Geschmack der älteren italienischen Tenor-Tradition. Sie ist zwar nicht so einmalig und wiedererkennbar wie Netrebkos Sopran oder Domingos Tenor-Bariton, aber seine attackierende Verve riss das begeisterte Festspielpublikum nicht weniger mit als die Kunst der beiden Weltstars.
Der Dirigent Paolo Carignani schärfte die Szenen mit dem frischen Philharmonia Chor Wien (Einstudierung Walter Zeh) rhythmisch zu und zwängte die Sänger doch nicht in ein starres Korsett. Das Münchner Rundfunkorchester brillierte mit Flexibilität und prunkte schon in der Ouvertüre mit schönen Bläser-Soli als 1a-Opernorchester.
So weit, so großartig. Aber Verdis Oper ist kein bloßes Sängerfest. Es mag hingehen, das Harmonium durch ein Akkordeon zu ersetzen. Aber muss die Banda fehlen? Verdis Klangregie, die den inneren Konflikt der Heldin durch Dämonen unter der Bühne und singende Engel aus der Höhe inszeniert, kam nicht vor, obwohl es dafür keinen besseren Ort gäbe als die Felsenreitschule. Das ist respektlos im Jubiläumsjahr – und bei diesem Luxusfestival am falschen Ende gespart.
BR-Klassik überträgt die Aufführung am Samstag ab 18.05 Uhr