Salzburger Festspiele: Bach darf auch romantisch sein
Es war eine ziemlich fiese Idee von Johannes Brahms, die Chaconne aus Johann Sebastian Bachs Violinpartita in d-moll in ein Klavierstück zu verwandeln. Denn er bearbeitete das Stück nicht für zwei Hände, sondern nur für die linke Hand. Die wird in einer Weise gefordert, dass das maximal fordernde Geigenstück noch schwerer wird. Man möchte dem sich selbst folternden Mann am Klavier zurufen, er möge doch endlich die zweite Hand zu Hilfe nehmen und seine Selbstquälerei beenden.
Der Eindruck verfliegt auch bis zuletzt nicht ganz, wenn Daniil Trifonov dieses Extrem-Stück mit Bravour bewältigt. Er geht nach diesem viertelstündigen Kraftakt nicht von der Bühne und muss sich nicht hinter dem Podium des Großen Festspielhauses ein wenig lockern. Der Pianist bleibt einfach da, lässt den monumentalen Schluss erst verhallen und schließt, langsam und lyrisch, den Contrapunctus Nr. 1 aus der "Kunst der Fuge" an, die er aus der Chaconne heraus entwickelt und im Geist der Brahms-Bearbeitung interpretiert. Was einiges für sich hat, weil beide Werke den Ton D umkreisen.
Trifonov inszeniert bei diesem Fugen-Zyklus Gegensätze: Auf ein langsames Stück folgt eine schnelles, auf ein lautes ein leises, auf monumentales Pathos eine Groteske. Trifonov verwandelt die Kontrapunktik gleichberechtigter Stimmen in Melodie und Begleitung, zumindest in der Tendenz. Die verschiedenen Fugen werden zu kontrastierenden Charakterstücken, ähnlich den Bach verpflichteten 24 Préludes von Chopin.
Innere Gegensätze in der Gestaltung
Aber er hütet sich vor Übertreibungen und gliedert die Stücke sinnvoll. Der Contrapunctus "In Stylo Francese" in der Mitte des ersten Teils erinnert in Trifonovs gemeißelter Sicht an die monumentale Rückkehr des Themas im Zentrum der Chaconne. Die nachfolgenden, formal immer komplexeren Fugen bereichert Trifonov dann auch stärker durch innere Gegensätze in der Gestaltung. Das letzte Stück vor der Pause ist dann eine lang angelegte, fast symphonische Steigerung mit einer pathetischen Tempo-Rückung am Ende.
Nach einer guten Stunde gönnte der Pianist sich und dem Publikum eine (Atem-) Pause. Danach folgten noch Spiegel-Fugen, die Trifonov etwas strenger und mit härterem Anschlag spielte. Und die unvollendete Schluss-Fuge als Steigerung mit herausgemeißeltem Höhepunkt und, wenn wir uns nicht ganz verhört haben, einem hinzugefügten, verdämmerndem Schluss. Was aber ehrlicher ist, als am Klavier theatralisch den plötzlichen Tod Bachs zu inszenieren.
Trifonov spielt Bach romantisch
Mit der Chaconne korrespondierte zuletzt noch der Choral "Jesus bleibt meine Freude" in der Bearbeitung von Myra Hess, als Zugabe spielte Trifonov Stücke aus dem "Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach". Das musste der Rezensent am folgenden Morgen in Salzburg nachfragen: Rein vom Höreindruck hätte es auch eine weniger bekannte Bach-Hommage von Robert Schumann sein können.
Ja, Trifonov spielt Bach romantisch. Aber wen stört das, wenn es stimmig ist? Man hat früher lange über Bach-Stile gestritten. Viel besser ist es, jemand macht etwas, und noch besser ist, jemand macht etwas radikal Subjektives, von dem er überzeugt und mit dem er überzeugen kann ist - wie Trifonov, der auch bis zur Rente mit großartiger Fingerfertigkeit Virtuosenmusik der Romantik und der Klassischen Moderne spielen könnte. Aber er tut es nicht. Dass er nach Neuem sucht, macht ihn zu einem noch größeren Pianisten, als er ohnehin schon ist.
Trifonov spielt zur Eröffnung der Isarphilharmonie ab 13. Oktober alle Klavierkonzerte von Beethoven (www.mphil.de).
Im Oktober erscheint auch seine CD "Bach: The Art of Life" (Deutsche Grammophon)