Rolling Stones in München: die Konzertkritik aus dem Olympiastadion

Was für eine Show: Die Rolling Stones bleiben bei ihrem Auftritt im Olympiastadion in München nichts schuldig. Mick Jagger heizt den 70.000 Fans richtig ein.
von  Dominik Petzold
Rockten München: die Rolling Stones.
Rockten München: die Rolling Stones. © dpa

München -  „Time Waits For No One“, die Zeit warte auf niemanden, sang Mick Jagger in dem gleichnamigen Song 1974, und sie warte auch nicht auf ihn. Vor 43 Jahren war das. Doch seither haben Jagger und die Seinen diesen Allgemeinplatz, dass die Zeit für alle unerbittlich voranschreite, als schlichten Irrtum entlarvt. Denn bei den Rolling Stones macht die Zeit offenbar eine Ausnahme. Alles, alles geht vorbei, doch die Stones sind sich treu: Sie machen einfach weiter, immer weiter. Ob sie jemals aufhören oder gar von ihren Körpern dazu gezwungen werden – wer würde darauf schon noch wetten?

Als sie 1962 anfingen, regierte in den USA John F. Kennedy, in Deutschland Konrad Adenauer. Unglaubliche 55 Jahre später sind die Rolling Stones immer noch da. Ein Stones-Konzert im Jahr 2017 ist also schon deshalb ein Ereignis, weil es stattfindet.

70.000 Fans feiern die Rolling Stones in München

Da stehen die Legenden, die schon vor Jahrzehnten Legenden waren, auf der Bühne des Münchner Olympiastadions, und wie sehr das die 70.000 Zuschauer berührt, zeigt sich, als Mick Jagger in der Mitte der Show seine Kollegen vorstellt. Ronnie Wood, 70 und Neuzugang seit 42 Jahren, lässt sich vom Publikum gebührend feiern. Als nächstes ist Charlie Watts, 76, an der Reihe, und noch bevor Jagger seinen Namen nennen kann, schon beim Wort „Drums“, jubelt das Publikum frenetisch. Watts verbeugt sich kurz und kehrt zu seinen Trommeln zurück, aber das Publikum lässt nicht locker, es schreit, bis er nochmal nach vorne kommt und – unerreicht cool wie immer – ein gerade noch wahrnehmbares Nicken andeutet.

Dann ruft Jagger Keith Richards, 73, die Seele der Band, den unverwüstlichen Großcharismatiker, der mit jedem Jahrzehnt mehr zum Megastar wurde. Als er mit seinen glitzernden Turnschuhen ins Rampenlicht tritt, erreicht der Geräuschpegel den Höchststand.

Sie sind da, die Rolling Stones, das reicht. Wie sie spielen, ist da fast schon sekundär. Und zu Beginn wirken manche Songs auch leicht zerschossen. Der Eröffnungssong „Sympathy for the Devil“ klingt nicht recht, die Gitarren schrammen noch etwas wild umher. Auch „Tumbling Dice“ reicht an den grandiosen Soul-Rock der frühen Siebziger nicht heran. Außerdem sind die Gitarren sehr laut sind und die erstklassigen Begleitmusiker kaum zu hören. „You Can’t Always Get What You Want“ hat schöne Momente, doch insgesamt wirkt das barocke Original-Arrangement zerfahren, trotz Horn-Intro und Chören vom Band.

 

Doch vieles andere ist umso wundervoller. Vor allem die uralten Blues-Nummern „Just Your Fool“ und „Ride ’em On Down“: Einen derart knarzigen, schroffen, beseelten Blues kriegen wirklich nur die Stones hin, Mick Jagger spielt so inspiriert Mundharmonika, dass Keith Richards strahlt. Auch „Honky Tonk Women“ hat dieses großartige Feeling, das die Stones aus den Urtiefen des Blues ziehen. Und den Gassenhauer-Refrain singen 70.000 Fans inbrünstig. Gegen Ende nehmen die Stones dann richtig Fahrt auf: „Midnight Rambler“ rockt höllisch und düster, die Disco-Nummer „Miss You“ bietet Raum für die großartigen Background-Musiker wie Saxophonist Tim Ries und Bassist Darryl Jones – jetzt strahlt Schlagzeuger Charlie Watts – und „Street Fighting Man“ klingt so messerscharf wie 1968.

Rolling Stones zum neunten Mal in München - nicht zum letzten Mal?

Und Mick Jagger tigert bei all dem die Bühne auf und ab, die Rampe vor und zurück, unermüdlich trotz seiner 74 Jahre. An ihm ist die Zeit wirklich spektakulär gescheitert, er ist hager und topfit, bewegt sich katzenhaft wie eh und je. Er ist das alleinige Zentrum der Show: Bühne und Leinwände sind riesig, aber angenehm schlicht gehalten, aufblasbare Puppen wie früher gibt es diesmal nicht, ein Feuerwerk nach der zweiten und letzten Zugabe „Jumpin’ Jack Flash“ ist der größte Showeffekt auf der Bühne des Olympiastadions. Zum neunten Mal sind sie übrigens hier, sagt Mick Jagger irgendwann ganz beiläufig.

Es klingt nicht so, als ob er darüber nachdenkt, dass es das letzte Mal sein könnte.

 

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