Robbie Robertson hat drittes Album von The Band neu abgemischt

Ein neues Cover und eine andere Reihenfolge der Songs von 1970: Die Neuveröffentlichung von Stage Fright ist irritierend, aber zugleich ist sie auch eine Offenbarung.
von  Dominik Petzold
Robbie Robertson (hinten), Toningenieur Todd Rundgren und Studio-Gast John Simon bei den Sessions zu "Stage Fright" 1970.
Robbie Robertson (hinten), Toningenieur Todd Rundgren und Studio-Gast John Simon bei den Sessions zu "Stage Fright" 1970. © John Schee

Es ist wohlbekannt, dass sich die Musiker vieler erfolgreicher Bands nicht ausstehen können. Trotzdem machen sie gemeinsam weiter, natürlich wegen des Geldes. Bei The Band war es anders: Sie löste sich 1976 mit einem legendären Konzert auf - und erst nach diesem "Last Waltz" folgte der ewige Knatsch.

Robbie Robertson wurde als alleiniger Songwriter geführt

Und zwar letztlich, genau, wegen des Geldes. Levon Helm zürnte, dass Robbie Robertson bei fast allen Liedern als alleiniger Songwriter geführt wurde und die üppigen Tantiemen kassierte, obwohl nach Helms Meinung auch andere Musiker Maßgebliches zu den Kompositionen beigetragen hatten. Bei dieser Haltung blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 2012.

Neuveröffentlichung von "Stage Fright": Neues Cover, neue Reihenfolge

Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, was sich Robertson bei der Neuveröffentlichung von "Stage Fright", des dritten Albums von The Band, herausgenommen hat: Er hat dem Album ein neues Cover verpasst und die zehn Songs in einer komplett anderen Reihenfolge angeordnet als bei der Erstveröffentlichung 1970. Nun seien die Songs in der ursprünglich angedachten Abfolge zu hören, erklärt Robertson. Seinerzeit habe man sich dann doch anders entschieden, um die wenigen Beiträge der anderen Songwriter Levon Helm und Richard Manuel hervorzuheben. Deren Lieder standen deshalb am Anfang des Albums - in der Neuveröffentlichung stehen sie ganz am Ende. Seine "brothers in the band" hätten diese Entscheidung sicherlich gut gefunden, schreibt Robertson im Booklet. Widerrede ist da nicht zu erwarten - nicht nur Helm, sondern auch Richard Manuel ist schon lange tot.

Man weiß auch nicht, wie den Musikern der stark veränderte Sound des Albums gefallen würde. Robbie Robertson hat Bob Clearmountain mit einem neuen Mix beauftragt. Der hat mit der Technik des 21. Jahrhunderts einen viel differenzierteren, klareren und räumlicheren Sound geschaffen als seinerzeit Todd Rundgren und Glyn Johns, allerdings klingt es auch nicht so warm und organisch wie damals. Robertson hat zudem musikalisch eingegriffen, so wird "The W.S. Walcott Medicine Show" nicht ausgeblendet wie ursprünglich, sondern bis zum Schlussakkord ausgespielt. Kurzum: Dieses "Stage Fright" ist ein anderes Album als 1970.

Neuveröffentlichung von "Stage Fright" ist irritierend

Der 77-jährige Robertson arbeitet also weiter nach eigenen Vorstellungen an seinem Vermächtnis, so wie er es in den letzten Jahren mit seiner Autobiographie "Testimony" und dem von ihm protegierten Dokumentarfilm "Once Were Brothers" tat. Der wurde als Eröffnungsfilm des Toronto Film Festival auf der ganz großen Bühne gezeigt und erzählte Robertsons Version der Geschichte von The Band.

Das Problem bei alldem ist, dass es auch um das Vermächtnis von vier anderen großen Musikern geht, die Robertsons Deutung nichts mehr entgegensetzen können. Nur Organist Garth Hudson ist noch am Leben, allerdings ist er nach Aussage des Dokumentarfilm-Regisseurs Daniel Roher in keiner guten Verfassung und hat sich völlig zurückgezogen. Robbie Robertsons Neuveröffentlichung von "Stage Fright" ist also irritierend. Doch zugleich ist sie auch eine Offenbarung.

The Band spielte 1971 auf der Höhe ihres Könnens

Denn in den Versionen als Doppel-CD und Boxset enthält sie neben anderem Zusatzmaterial den kompletten Mitschnitt eines Londoner Konzerts von 1971 - und der ist nichts weniger als eine Sternstunde. The Band spielt auf der Höhe ihres Könnens, präsentiert zwanzig brillante Songs, die die Reichtümer der amerikanischen Musik zu einem einzigartigen Sound zusammenführen: die uralte Volksmusik der Appalachen, den Soul aus Detroit und Memphis, den Funk aus New Orleans, den Rock von überall im Land. Und selten klang diese Melange so intensiv wie hier: Robbie Robertson verpasste seiner Gitarre mehr Twang und Verzerrung als sonst. Garth Hudson zwirbelt verrückte Sounds aus seinen Keyboards und bläst am Ende von "The Unfaithful Servant" eine zum Weinen schöne Saxophon-Melodie.

Konzertmitschnitt mindestens auf einer Stufe mit den zwei klassischen Live-Alben

Atemberaubend sind aber vor allem die drei Sänger: Richard Manuel lässt mit seinem begnadeten Bariton tief in seine gepeinigte Seele schauen, Südstaatler Levon Helm singt, als ob der Teufel oder die Yankee-Armee hinter ihm her wäre, etwa bei dem Bürgerkriegs-Song "The Night They Drove Old Dixie Down". Und wenn Rick Danko hier, bei "Up On Cripple Creek" oder dem Marvin-Gaye-Cover "Don't Do It" eine kraftvolle hohe zweite Stimme darüber setzt, entwickelt die Musik eine Kraft, die kaum zu toppen ist. So steht dieser Konzertmitschnitt mindestens auf einer Stufe mit den zwei klassischen Live-Alben von The Band: "Rock of Ages" und "The Last Waltz", dem triumphalen Ende, nach dem der große Streit begann.


The Band: "Stage Fright" (erschienen bei Capitol/Universal, unter anderem als LP, Doppel-CD oder Boxset mit LP, Doppel-CD, Blu-ray, 7"-Vinyl-Boxset und Fotobuch).

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