Rachmaninow zum 75. Geburtstag
Selbst bei einem sehr guten Orchester treten schon mal Intonationsschwierigkeiten auf. Es waren in diesem Falle Musikstudenten, die besten ihres Faches, denen bei der Probe ein Akkord einfach nicht gelingen wollte. Jedes Nachstimmen machte ihn nur noch schräger.
Mariss Jansons löste das Problem schnell und hinreißend einfach: Er ließ die Klarinette etwas leiser spielen und die Flöte einen Tick lauter – und siehe da, auf einmal verbreitete sich reinste Harmonie. In solchen Situationen zeigt sich, ob ein Dirigent nur mit seinem angestammten Klangkörper vertraut musizieren kann, oder ob er die Welt des Orchesters mit ihren Gesetzen selbst genau kennt. Dass er in dieser Welt quasi zuhause ist, ist wohl das Geheimnis der einsamen Kunst von Mariss Jansons, der am Sonntag seinen 75. Geburtstag feiert.
Immer noch besser werden
Dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks steht der lettische Dirigent seit nunmehr 15 Jahren vor, und dennoch profitiert selbst ein solches Elite-Ensemble immer noch von Jansons intimer Kenntnis darüber, wie ein solches komplexes Gebilde funktioniert, was die Musiker brauchen – und davon, dass er sich nicht zu vornehm ist, es ihnen auch zu geben. Es ist in den Konzerten sehr lehrreich zu sehen, wie Jansons auch bei vielgespielten Stücken alle Einsätze gibt, nicht nur an kritischen Stellen.
Dies hatte zwar auch Jansons Vorgänger am Pult der BR-Symphoniker, Lorin Maazel, getan. Doch bei ihm konnte man oft den Eindruck haben, dass er sich nach erfolgter Zeichengebung nicht mehr wirklich davon überraschen ließ, was darauf als musikalisches Ereignis folgte.
Das ist bei Mariss Jansons anders. Die zwei Beispiele, die der Bayerische Rundfunk gerade auf seinem Klassik-Label veröffentlichte, sind in dieser Hinsicht gut gewählt: Es sind jüngere Mitschnitte von Konzerten, in denen Jansons zwei Werke von Sergej Rachmaninow auf das Programm gesetzt hatte. Sie dokumentieren den unbestechlich präzisen Dirigierstil Jansons, der dazu führt, dass die Musiker vollkommen frei spielen können, weil sie sich so sicher fühlen.
Eine Palette spektakulärer Effekte
Besonders in der mit Solisten, Chor und Orchester üppig besetzten Kantate „Die Glocken“ op. 35 sieht man den Dirigenten fast vor sich, wie er sich mit seinem unnachahmlichen, stets leicht entrückten Lächeln selbst über die Klangwunder freut, die in der stabilen Ordnung erblühen können. Das sind, neben guten Gesangssolisten und einem starken BR-Chor, lebendig spritzige Streicher, blühende Holzbläsersoli und ein imposantes, doch stets entspannt bleibendes Blech.
Bei der selten gespielten Kantate kommt noch hinzu, wie breit Jansons die Palette spektakulärer Effekte anlegt: beginnend mit exquisit kammermusikalischen, oftmals geradezu impressionistischen Mischungen der einzelnen Gruppen, zu denen, sujetbedingt, noch das lustig klingelnde oder geheimnisvoll tönende Schlagzeug hinzukommt, bis hin zu einer überwältigenden Bündelung aller Kräfte, die wie auf dem Reißbrett ausbalanciert wirkt.
In den „Symphonischen Tänzen“ op. 45 des späten Rachmaninow ist die gemäldeartige Üppigkeit ausgetauscht durch mitreißende rhythmische Entwicklungen, deren Energien strikt vorangetrieben, dabei jedoch überlegen abgefedert werden – von Jansons mit steter Lust am Musizieren befeuert. Letztlich ist es genau diese Lust am Klang, welche die Zusammenarbeit zwischen dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und ihrem langjährigen Chefdirigenten zu einer so beglückenden anhaltenden Erfolgsgeschichte macht.
Sergej Rachmaninow: „Die Glocken“ und „Symphonische Tänze“ op. 45, CD bei BR Klassik. Am Sonntag feiert die Klassikwelle des Senders den Geburtstag als „Tag mit Mariss Jansons“