Placido Domingo wird 80: Wer rastet, der rostet

Man solle aufhören, wenn es am Schönsten ist und noch Bedauern aufkommt, heißt es. Viele Künstler reden davon, wenige finden den richtigen Zeitpunkt. Am ungeschicktesten stellt sich in diesem Punkt wohl Placido Domingo an, der am Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert und noch immer unermüdlich auf der Bühne steht, soweit das derzeit möglich ist.
Der in 1941 Madrid geborene Sänger debütierte 1959 in einer Nebenrolle in Verdis "Rigoletto" in Mexiko. Sein internationaler Aufstieg begann 1966 an der New York City Opera in Alberto Ginasteras "Don Rodrigo". Nach einer beispielhaften Karriere im italienischen und französischen Fach übernahm er vor 25 Jahren zunehmend Wagner-Rollen. Auch hier überzeugte er mit Kraft und Geschmack.
Vor etwa zehn Jahren wechselte er vom Tenor ins Baritonfach. In der Titelpartie von Verdis "Simon Boccanegra" war Domingo nicht schlecht. Aber leider bestärkte ihn der Erfolg, sich nun auch Rollen wie Rigoletto, den Grafen Luna ("Il trovatore") und Nabucco anzueignen. Die Salzburger Festspiele und diverse Opernhäuser machten dieses Spiel mit, und so darf Domingo weiter mit Charisma seinen mittlerweile brüchigen Gesang überspielen. Denn musikalisch wie stilistisch sind seine Auftritte als Bariton mittlerweile eine Zumutung - wie sein Dirigieren, das ihn sogar ins Bayreuther Festspielhaus brachte, weil sich offenbar alles kaufen lässt.
Rücktritt als Opern-Chef in Los Angeles
Sängerkarrieren verglühen oft früh, wenn man etwa an Maria Callas oder Rolando Villazon denkt. So lange wie Domingo standen allenfalls Dietrich Fischer-Dieskau oder Edita Gruberova auf der Bühne, aber auch sie sind Ausnahmeerscheinungen wie der Spanier, der von sich behauptet, er habe "in der Musik noch viele Träume zu verwirklichen: Rollen, die ich sowohl in der Oper als auch in der Zarzuela erstmals spielen möchte." In vergangenen März erkrankte er an Covid-19, seit Ende August steht er wieder auf der Bühne, auch wenn seine Spät-Karriere durch Vorwürfe wegen sexueller Belästigung angekratzt ist.
Die Ereignisse liegen Jahrzehnte zurück, Anzeigen wurden nicht erstattet. Aber die vermeintlichen Affären hatten trotzdem erhebliche Folgen - und die Nachwehen zogen sich weit ins vorige Jahr hinein. Eine von der Oper in Los Angeles beauftragte Untersuchung kam im März zu dem Ergebnis, dass bestimmte Vorwürfe des "unangemessenen Verhaltens" glaubwürdig seien. Auch eine Untersuchung des US-Verbands der Musikkünstler (AGMA) vom Februar 2020 kam zu dem Schluss, dass Domingo "unangemessene Aktivitäten" vom Flirt bis hin zu sexuellen Avancen ausgeübt habe. Nach den Vorwürfen war Domingo im Oktober 2019 als Chef der Oper in Los Angeles zurückgetreten.
Der Vater dreier Söhne und mehrfache Großvater versichert, er habe "niemals jemanden belästigt". Er verurteile sexuelle Belästigung "in jeder Situation, an jedem Ort und zu jeder Zeit". "El Mundo" sagte Domingo jetzt, er habe "eine schlimme Zeit" erlebt, die aber überwunden sei. Die Zuneigung und die Solidarität von Freunden und Kollegen, aber auch von fremden Menschen habe er genossen.
"Eine ehrliche Klärung im persönlichen Gespräch"
Inzwischen sind die anklagenden Stimmen weitgehend verstummt. Es gab mehrere Auftritte in Italien, und auch in Wien, Monte-Carlo, Moskau und Sankt Petersburg löste er - wenn auch coronabedingt vor ungewohnt kleinem Publikum - Ovationen aus. Gemäß dem Motto "Wenn ich raste, dann roste ich", das Domingo auch auf Instagram propagiert, stehen in den nächsten Monaten mehrere Präsentationen in Europa auf dem Programm. Unter anderem ein Konzert am 6. März im Festspielhaus Baden-Baden. Nur nicht in seinem Heimatland. Warum?
Domingo hat in Spanien eine Rechnung offen. Sein letzter Auftritt dort war Ende 2019 in Valencia - weil das Kulturministerium wegen der MeToo-Vorwürfe im vorigen Jahr eine Art "Bann" gegen den einst vergötterten Sänger aussprach. Eine "Blockade", wie "El Mundo" schrieb. "Das tat natürlich weh", räumte Domingo im Interview der Zeitung "ABC" ein. Er sei aber zuversichtlich, bald mit den zuständigen Behörden sprechen zu können. "Eine ehrliche Klärung im persönlichen Gespräch" sei "unerlässlich".
Auf der Bühne muss Domingo derweil längst nichts mehr beweisen. Während das Repertoire seines Vorbildes Enrico Caruso (1873-1921) 40 Rollen umfasste, sang er mehr als 150 Partien. In Wien erhielt er einmal einen Applaus von 80 Minuten und 100 Vorhänge. Nach eigener Schätzung trat er 4000 Mal auf. Am häufigsten stand er in der New Yorker Metropolitan Opera auf der Bühne, die sich allerdings im Zuge der MeToo-Vorwürfe von ihm getrennt hat.
Kommerzielle Erfolge mit den "Drei Tenören"
Auch in München hat Domingo oft gesungen: Unter anderem als Cavaradossi ("Tosca"), Otello, Radamés ("Aida") stand er auf der Bühne des Nationaltheaters. Mit dem Bayerischen Staatsorchester hat er unter Carlos Kleiber den Alfredo in "La traviata" aufgenommen, und für Kleiber ist er auch einmal als Dirigent der "Fledermaus" eingesprungen. Seine Auftritte als Nabucco entfielen mit den vergangenen Opernfestspielen, von weiteren Engagement ist derzeit nichts bekannt.
Seine größten kommerziellen Erfolge feierte Domingo, der als Kind eher Stierkämpfer oder Fußballprofi werden wollte, als einer der "Drei Tenöre". Zusammen mit Landsmann José Carreras (74) und dem 2007 mit knapp 72 Jahren verstorbenen Italiener Luciano Pavarotti trug er dazu bei, klassische Musik und Oper populärer zu machen. Domingo blickt wehmütig zurück: "Das war eine glückliche Zeit mit José y Luciano", sagte er "El Mundo". "Wir waren immer am Scherzen ... Wir vermissen Luciano wirklich sehr!"
Domingos Eltern waren Sänger an einer Madrider Zarzuela-Bühne, der spanischen Version einer Operette. Als Domingo acht Jahre alt war, wanderte die Familie aus beruflichen Gründen nach Mexiko aus, wo er nicht nur musikalisch ausgebildet wurde. Hier lernte er auch seine Frau Marta (am Dienstag 86) am Konservatorium kennen.
Seinen Geburtstag feiert der Sänger in Wien. Er werde den Tag mit seiner Ehefrau und zwei seiner drei Söhne, Plácido Jr. (55) und Álvaro (52) feiern. Es werde eine "ruhige und leise" Geburtstagsparty sein, so Domingo, "denn schon am nächsten Tag singe ich den Nabucco in der Staatsoper".
Leider werde es wegen Corona und der damit verbundenen Einschränkungen kein Publikum im Haus geben, bedauerte Domingo. Der ORF wird die Vorstellung aufzeichnen und zwei Tage später, am Sonntagabend um 20.15 Uhr, im Spartensender ORF III ausstrahlen.
Aufhören will Placido Domingo nicht
Ans Aufhören denkt Domingo auch mit 80 nicht. "Das Alter ist keine Ausrede dafür, dass man die Begeisterungsfähigkeit verliert oder nicht weiter träumt." Die Bühne sei sein Leben. Er versuche, mit täglicher körperlicher Aktivität und gesunder Ernährung in Form zu bleiben.
Und so wird man ihn wohl irgendwann von der Bühne tragen müssen.