Pianist Martin Stadtfeld in der Kritik: Vierhändig schwurbeln

Der Veranstalter hat - formulieren wir es lieber vorsichtig - ein vielfältiges Angebot. Ein "Botschafter der intergalaktischen Konföderation" berichtet in einem Augsburger Bio-Hotel vom Wirken unserer Sternengeschwister und lädt anschließend zu einer Meditation ein. Mit Mantragesang tankt man neue Kraft für den Job und entdeckt mit therapeutischem Tanz alle Aspekte des Menschseins.
Dazu gibt es Jazz und Klassik in Augsburg, Karlsfeld und Trostberg. Einer der Künstler, der sich von den in Biberbach bei Augsburg ansässigen Gruppe "Die Gegenwärtigen" um Dieter Bschor engagieren lässt, ist der durch eine Einspielung von Bachs "Goldberg-Variationen" bekannt gewordene Pianist Martin Stadtfeld.
Schwurbler als Auftraggeber?
Angesichts der anhaltenden Konzertflaute dürften es sich Künstler zwar derzeit zweimal überlegen, ehe sie ein Engagement ausschlagen. Aber die "Gegenwärtigen" sind doch ein merkwürdiges Umfeld. Auf ihrem YouTube-Kanal werben Geistheiler und ein verschwörungsmythisch angehauchter Traumatherapeuth. Auf Telegram wird zu coronakritischen Spaziergängen, Finanzinvestments angesichts des drohenden Euro-Zusammenbruchs und zur Analyse von Vladimir Putins Horoskop aufgerufen.
Der Journalist Robert Andreasch beschäftigt sich seit Jahren mit der rechten, verschwörungsmythischen und pandemieleugnenden Szene. Aus seiner Sicht handelt es sich bei den "Gegenwärtigen" um eine rechtsesoterische Veranstaltungsagentur, die in Mertingen parallel zu den Straßen- und Online-Aktivitäten der Coronamaßnahmengegner und Pandemieleugner entstanden ist. Die Agentur organisiere Auftritte bekannter Redner aus der "Corona"-Szene wie des früheren Polizisten Wolfgang Kauth oder des Wirtschaftsprofessors Christian Kreiß. "Im Telegramkanal der Gruppe gibt es verschwörungsideologische, politische Texte zu lesen, etwa über angebliches Graphen in den Impfungen oder über eine angeblich geplante Zerstörung der deutschen Wirtschaft", so der Experte der "Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München" (a.i.d.a.).
Stadtfeld will davon nichts gewusst haben
Der Pianist Martin Stadtfeld erklärt dazu auf Anfrage, dass ihm diese mühelos im Internet auffindbaren Informationen nicht bekannt seien. Esoterik sei ihm fremd, Horoskope ebenfalls. Generell interessiere er sich "für den geistigen Hintergrund eines Veranstalters per se nicht unbedingt". Ihm gehe es um das vierhändige Klavierspiel, das er für unterschätzt halte. Insofern sei er froh, dass ihm seine Kollegin Lilian Akopova das Konzert am 6. Oktober im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg vermittelt habe. Mit ihr, die über den Veranstalter nur das Beste berichte, werde er Werke von Schumann, Mozart und eine eigene Bach-Bearbeitung spielen.
Lilian Akopova tritt bei anderen Konzerten der "Gegenwärtigen" im Duo mit einem Mitglied der weitläufigen Well-Familie auf. Im Sinn des bayerischen Mottos "Leben und Leben lassen" mag jeder auftreten, wo und wie es ihm passt. Die noch nicht zu Ende gegangenen Corona-Jahre waren und sind eine schwierige Zeit für freiberufliche Musiker wie Martin Stadtfeld oder Lilian Akopova, die nicht fest angestellt in einem Orchester arbeiten. Viele Engagenments fielen weg, die staatlichen Entschädigungen flossen zögerlich und spät. Wenn nicht gerade Stars auftreten, sind Konzerte bisweilen viel schlechter besucht wie in der Vor-Corona-Zeit.
Künstler wurden zu Wutbürgern
Der eine oder andere Künstler ist in dieser Zeit zum Wutbürger geworden. Zur bayerischen Freiheit gehört aber auch, dass man sich darüber wundern und manches Umfeld von Konzerten merkwürdig, seltsam oder gar bedenklich finden darf. Und dass man nichts gewusst habe, ist im Zeitalter der leicht erreichbaren Information eine etwas fahrlässige Ausrede.