Philharmonie: Hammertragik ohne Schwere
Frech kombiniert Daniel Harding Henry Purcell und Gustav Mahler mit dem BR-Symphonieorchester im Gasteig
Nein, Daniel Harding hat keinen Schwächeanfall erlitten, auch wenn sich im Solistenzimmer hinter der Gasteigbühne ein Kardiologe, Krankenschwestern und Presse drängen: Der Meister aus Oxford wird EKG-verkabelt – für ein Projekt der BR-Symphoniker. Am Ende sollen Musikausschläge und Herzrhythmus verglichen werden – beim Solotrompeter, beim Schlagzeuger, zwei weiteren Freiwilligen und eben dem Maestro, der sich – bei aller Ernsthaftigkeit – für das Experiment hergegeben hat und sogar auszieht, um die Elektroden aufkleben zu lassen, die man dann unter seinem Frack nicht mehr sehen wird.
Auf dem Programm sind Henry Purcells „Funeral Music of Queen Mary“, die makabererweise zu seiner eigenen wurde, weil er wenige Monate nach der Königin starb – und „Mahlers 6.“. Harding wagt eine halbszenische Aufführung, indem er den schlanken 24-Personen-Chor erst zum Purcell’schen Trauermarsch mit den schreitenden Trommelschlägen langsam die Bühne besteigen und am spiegelbildlichen Schlussmarsch wieder abtreten lässt, wie Trauergäste beim Leichenzug.
Gestorben wird bei langsamen Stellen
Und dann gleich der nächste Einfall: Purcells Barock geht ohne abzusetzen direkt in Mahlers Symphonie über, als ob Purcell dazu das g-Moll-Vorspiel als Grundton geliefert hätte. Bühnentechnisch führte das dazu, dass die Mahler’sche Riesenbesetzung auch schon Purcell voluminöser machte und so den Übergang von 200 Jahren organisch wirken ließ. Die hohe Kunst Hardings bestand darin, die Tragik ohne Schwere zu gestalten, ungedehnt, nicht getragen, sondern aufrecht im Leben. Und die Kuhglocken durften nur dezent Idyllen-Glück verbreiten.
Aber wie haben die zwei, musikalisch gefühlten drei präzisen Schicksals-Hammerschläge im vierten Satz auf den Herzschlag des Schlagzeugers gewirkt? Man wird die Auswertungen noch diese Woche erfahren, im Saisonbuch 2014/15 werden sie ausgeführt. Auch die von Harding.
Der hatte der AZ auf die Frage geantwortet, ob man den „Spieluhr“-Barock und die fluktuierende Düster-Spätromantik an seinem Belastungs-EKG wird unterscheiden können? „Ich wage keine Prognose. Aber die Wahrheit ist: Gestorben am Pult wird ja immer an langsamen Stellen – bekannterweise vor allem bei ,Tristan und Isolde’. Gefährlich ist die angezogene Handbremse, gedehnte Musik!“ Das aber hat Harding mit seinem ernsthaften Schwung beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dreimal in der Philharmonie wunderbar vermieden. Jubel!